Noch bevor ich nach Innsbruck zum Studieren gezogen bin, war der Bettelwurf im Halltal bereits Objekt der Begierde. Am Ende einer 3-tägigen Karwendeldurchquerung lag er doch so verlockend auf dem Abstiegswege...das was 2002, also vor genau 10 Jahren.
Mein Innsbruck-Dasein endet dieser Tage, was liegt näher, als den Bettelwurf nochmals zu besteigen, aber über einen charakteristischeren Anstieg? Gleich hinter Absam beginnt das Halltal, zu seiner rechten Seite zieht zunächst ein steiler, bewaldeter Rücken empor, der sich nach und nach aufsteilt und in schottrig-felsige Landschaft mit Latschenbewuchs übergeht. Die Hüttenspitze über der Alpensöhnehütte ist das erste Gipfelziel.
Wie lieblich das Inntal, noch in letzte Nebelstreifen gehüllt, im Schatten der umliegenden Berge weilt, während bei mir bereits die ersten Sonnenstrahlen das Tageslicht anläuten. Ein sonniger Tag steht mir bevor, erst gegen Abend soll eine heftige Kaltfront eintreffen und weiße Pracht in den Bergen verteilen.
Steil, steiler, am steilsten. so lässt sich der Anstieg auf die Hüttenspitze beschreiben. Schweißtropfen drückts mir auf die Stirn, der Puls schnellt in unermessliche Höhen und die Oberschenkelmuskulatur wird aufs Ärgste gefordert. Oben am Gipfelkreuz, friedliche Stille, ich genieße den Ausblick, meine Blicke schweifen über das langgezogene Halltal bis zum Stempeljoch, wo rechterhand der Roßkopf sitzt, ein prächtiger Koloss am Talende.
Vor mir türmt sich mein Weiterweg auf, erste Zweifel beginnen ihr Unwesen im Kopf zu treiben. Wo bitte geht's weiter? Eine schrofige Felswand mit Latschen stellt sich mir in den Weg. Der Südgrat auf die Wechselspitze entpuppt sich als weniger schneidig, als es vom Tal aus den Anschein hat. Spürsinn ist gefragt, die Intuition walten lassen. Ich entscheide mich für eine Rinne. Rinnen haben den Vorteil, dass sie weniger ausgesetzt sind und meistens ein leichtes Höhersteigen durch Spreizen zulassen, auch wenn der Fels mal brüchiger wird. Dann presst man ihn halt mit Händen und Füßen, so dass er an Ort und Stelle bleibt:-)
Erste Anzeichen des Schlechtwetters machen sich allmählich am Horizint im Westen und Süden breit, es heißt also Angasen. Das nächste Gipfelkreuz wird nur kurz genossen, zumal ein böig kalter Wind aufgekommen ist, der nicht gerade zum gemütlichen Verweilen einläd. Heute fühle ich mich in meinem Element, leichte Felspassagen wechseln mit schrofigem Gelände, die Augen scannen den Untergrund, da ein Tritt, dort ein Griff, die losen Blöcke lasse ich links liegen. Wie in Trance steige ich höher und höher, erklimme Turm um Turm, schließlich erreiche ich einen Sattel vorm letzten Felsaufschwung hinauf auf die Wechselspitze.
Ich lasse mich von einem Gamspfad verleiten und schon stehe ich in übelstem Bruch. Langsam, sehr langsam, taste ich mich von Stein zu Stein, eine Fehleinschätzung und das war der letzte Alleingang! Zweifel tauchen wieder auf: Warum verspüre ich nur den Drang, alleine solche Unternehmungen ins Unbekannte anzugehen? Abenteuerlust, Neugierde, Freiheit.
Schließlich finde ich einen Ausweg mit 2m Querung im üblen Gelände und erreiche wieder den Felsgrat und siehe da, dahinter, in einer Rinne erkenne ich rote Markierungen, der Normalweg. Wie nah oft Erfolg und Niederlage beieinander liegen, ein schmaler Grat der einen gekonnten Balanceakt erfordert. Wie im richtigen Leben, so auch in der Bergwelt.
Auch das Gipfelkreuz der Wechselspitze kann ich nur kurz genießen, die Temperaturen sind am sinken, der Wind nimmt an Stärke zu, aber vor mir ist nun die letzte Etappe bis zum Bettelwurf klar ersichtlich. Weit, mit vielen Felstürmen ist der Gratabschnitt bestückt, dazwischen Graspolster und am Ende ein mächtiger Felsaufbau. "Das wird spannend" schießt es mir durch den Kopf, Roli hat was von einem Riss erzählt, der eine Plattenflucht durchzieht. Ich bin neugierig, doch zugleich schaut der Gipfelaufbau von der Ferne nicht machbar aus ohne Seil und Partner. Ob ich mir zu viel zugemutet habe? Schließlich liegen meine Solo-Jahre schon einige Zeit hinter mir, die Sturm und Drang Zeit ist schon lange abgeschlossen.
Doch so kurz vor dem Ende des Gratanstieges möchte ich nicht aufgeben, zumindest anschauen muss ichs mir! Und wie so oft, die Türme lösen sich bestens auf, entweder lassen sie sich leicht überklettern oder Steinmänner weisen Umgehungspfade. Ich erreiche eine Art Scharte, wieder weist ein Steinmann mir den Weg nach links, das Gelände wird unübersichtlich, das Gipfelkreuz des Bettelwurfes ist viel weiter links ausfindig zu machen, wenn nicht gerade Wolken den Gipfel einhüllen. Empfindlich kalt ists mittlerweile geworden, der Wind pfeift mir mit voller Stärke um die Ohren und wirft mich das ein oder andere mal aus meinem Gleichgewicht.
Hinausqueren schaut nicht verlockend aus, gerade hinauf? Möglich, über eine Rinne mit durchaus festem Gestein, doch wohin leitet die Rinne? Muss ich überhaupt auf den höchsten Punkt dieses Felsaufbaus? Muss ich doch hinausqueren? Der horizontale Untergrund unter meinen Füßen ist langsam der vertikalen Machart gewichen, Kletterei ist angesagt, überlegtes Steigen und Greifen. Ich erreiche den ersten Schlaghaken älterer Sorte, ein komisches Gefühl so ganz alleine da heroben. Doch gleichzeitig auch ein angenehmes Gefühl, ein Gefühl der Konzentration, Fokussierung und damit Ruhe. Abschalten von den anstrengenden und nervenaufreibenden letzten Wochen.
Schließlich errreiche ich nach längerem Hin und Her die "Headwall", eine fantastische, mit Wasserrillen durchzogene hellgraue Platte, an deren rechter Begrenzung eine Verschneidung mir den Weg nach oben freigeben soll. So hoffe ich zumindest. Freudig über den tollen Fels motiviere ich mich zur letzten Etappe, ziehe nochmals die Handschuhe aus und lege meine klammen Hände an den festen Fels. Leisten für die Finger, die Turnschuhe auf mehr oder weniger ausgeprägten Tritten. Stemmen, Drücken, Ziehen, nach und nach überwinde ich die sich aufsteilende Verschneidung, brüchige Passagen erfordern ein letztes Mal volle Aufmerksamkeit und ein beherztes Weitersteigen. 3 weitere Schlaghaken begleiten mich auf meinem Weg nach oben und geben mir die Zuversicht, auf der richtigen Route zu sein.
Nach bald 4 Stunden bricht aus mir der erste Jubelschrei heraus, erschöpft, aber zufrieden und mit einem Grinser, der das ganze Gesicht zurchzieht, schreite ich die letzten leichten Meter hinüber zum Gipfelkreuz des großen Bettelwurfes. Alleine darf ich hier heroben die Aussicht bestaunen, ein Gänsehaut-Moment, nicht nur wegen des Sturmes! Bye bye Tirol, das heilige Land (und ich weiß warum...)
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Alice (Samstag, 27 Oktober 2012 21:58)
Mei so spannend geschrieben!
Das ist ja fast Krimibuch verdächtig :)
Komm immer wieder gut zurück, Patricia!!!