Die Dauphiné ist im deutschsprachigen Raum weniger bekannt, was wohl an der weiten Anreise liegen mag. Dabei ist dieses Gebirge in den französischen Alpen rund um den südlichsten 4000er der Alpen, die Barre des Écrins, für mich eines der Schönsten! Wild, ursprünglich, ohne übermässige Erschliessung und Infrastruktur. Dazu oft das südliche Wetter mit viel Sonnenschein. Und die Qualität der Anstiege und Routen ist vorzüglich, abwechslungsreich, eher felslastig, denn die grossen Gletscher haben ihre Blütezeit schon hinter sich. Den Kletterer erfreuts, den klassischen Bergsteiger wohl weniger, aber auch er wird in der Dauphiné noch fündig werden...
Die Aiguille Dibona, eine Felsnadel, ein Monument aus Stein. Eine Laune der Natur, die eine Felsqualität erschaffen hat, die besser nicht sein könnte. Strukturierter, griffiger Granit mit mega Reibung und in rötlichen Tönen. Auf 300m Wandhöhe wirst du keinen einzigsten brüchigen Griff oder Tritt finden! Die Qualität und Struktur der Felsen erinnert mich fast schon an die Vorzüglichkeit des Gesteins auf Korsika, aber das im Hochgebirge auf 3000m Höhe!
Mit dem Refuge Soreiller als Ausgangspunkt, das direkt am Fusse der Südwand liegt, haben wir also für 4 Tage unseren Stützpunkt gefunden. Die Vorteile liegen auf der Hand: null Zustieg = länger Schlafen und Flexibilität, was das Wetter anbelangt. Denn das sollte wider Erwarten einige Kapriolen schlagen, Hagel und Graupeln inklusive. Doch wenn man quasi direkt beim Einstieg einer Route nächtigt, dann gehen sich auch bis Mittag und somit noch vor Eintreffen eines Gewitters, viele Seillängen aus.
Martine, die Hüttenwirtin, organisiert mit ihrem Team die Horden an Kletterern und Wanderern recht gut. Jeder muss bevor er die Hütte verlässt mitteilen, welche Route er klettern wird, zu seiner eigenen Sicherheit (denn Empfang ist hier Fehlanzeige), aber auch um die Seilschaften zu koordinieren. Die Visite Obligatoire ist DER Klassiker im Gebiet und an schönen Tagen von etlichen Seilschaften belagert. Damit nicht alle um 8 Uhr beim Einstieg anstehen lohnt sich die allabendliche Organisation eben schon. Ansonsten darf man nichts grossartiges dort oben erwarten, klassisch karge Verpflegung, aber ausreichend und preislich fair und das Team ist wirklich nett und gut organisiert. Es gibt für 2€ sogar die Möglichkeit zu duschen, Trinkwasser und ein Selbstversorgerraum ist vorhanden, wenige Meter von der Hütte entfernt darf auch gezeltet werden, was sehr viele Kletterer gerne machen.
Aiguille Orientale du Soreiller: "la polka..."
Leider haben wir nur 3 Seillängen klettern können bevor uns der Hagel aus der Wand trieb. Ein Schneefeld, welches wohl immer unter dem Einstieg liegt, ist am Nachmittag im weichen Schnee gut ohne Extraausrüstung passierbar, nur die letzten 10m sind steil. Über glatten Fels mit ein paar Schuppen und Rissen erreicht man den ersten Stand der Route auf einem Pfeiler (eine Stelle ca. 5-).
Die Absicherung ist fordernd, Friends und Keile schaden also nicht am Klettergurt. Da über die Route auch wieder abgeseilt werden muss, kann jederzeit umgedreht werden, wobei das Abseilen einiges an Routine benötigt (schräges Abseilen mit Zwischenexpress einhängen, Seilverlauf,...)
Die ersten Seillängen sind mehr der Zubringer zum oberen roten steilen Teil, den wir leider nicht mehr klettern konnten. Aber trotzdem schön in gutem Fels.
Aiguille Dibona Ostwand: "Martine is on the rock"
Ohne Topo einzusteigen ist zwar etwas verwegen, da ich aber wusste, dass die maximale Schwierigkeit den Grad 6c nicht übersteigen sollte und die Absicherung 6a obl. ist,, stiegen wir in diese wunderschöne Sportklettertour ein, nachdem 2 andere Seilschaften 5m links nebenan die "Étique de la joie" beanspruchten. Noch triefte es aus den Rissen, schwarze Streifen säumten einige Wandabschnitte und die erste plattigere Seillänge auf feuchtem Fels rief nicht gerade ein "Plaisir-Gefühl" in mir auf. Aber der Grip passte und mit dem aufkommenden Wind und den Sonnenstrahlen trocknete der Fels rasch ab, Die zweite Seillänge beherbergt sogleich die Crux, eine senkrechte Wand mit abschüssigen Leisten, welche aber sehr nah eingebohrt ist und somit A0 erledigt werden könnte. Es wechseln plattige Stellen mit Schuppen und Rissspuren, alles ok abgesichert, auch wenn zwischen den Haken durchaus geklettert werden muss. Im oberen Teil wartet dann eine geniale Rissseillänge an einer Piazschuppe entlang. Steil und aussaugend, da Tritte Mangelware sind. Geilo, aber für mich dedinitiv keine 6a! Die obersten 2 Seillängen haben wir nicht mehr klettern können, da das Wetter sich einmal mehr veschlechterte und wir lieber abseilen wollten, als im Gewitter auf der Gipfelnadel der Dibona zu stehen...Das Abseilen ging recht flott, im Prinzip ist die Route auch dafür eingerichtet, eventuell für den oberen Teil Maillons und Reepschnüre zum Verbinden der Bohrhaken mitnehmen.
Aiguille Dibona: "Visite Obligatoire", Südwand
An einem Montag, an dem das Wetter am Morgen noch halbschwindlig aussah, liess für uns der Tag werden, an dem wir den Klassiker im Gebiet klettern wollten. Eine Seilschaft ist trotz leichtem Tröpfeln bereits früh am Morgen eingestiegen und war bereits in der 3. oder 4. Seillänge am Werkeln, als wir Hand an der Dibona anlegten. also kein Warten, freie Fahrt und Kletterfluss nach Belieben! Die ersten beiden plattigen Seillängen sind weniger plattig als erwartet, da Schüppchen und griffige Leisten mit viel Struktur den Weg gut vorgeben. Lediglich eine Stelle war etwas ungut im Vorstieg, der Rest ganz ok abgesichert. Es folgen abwechslungsreiche Seillängen an Traumfels. Strukturierter, kompakter Granit. Teilweise viel komplexer zu klettern, als es von unten den Anschein hat. Und der Schwierigkeitsgrad ist durchwegs obligat zu klettern. Mit 6a wie angegeben kommt man wohl eher nicht durch. Um die Tour wirklich geniessen zu können (und auch keine weiteren Sicherungsmittel anbringen zu müssen) sollte man einen 6b locker drauf haben! Dann aber entpuppt sich diese Tour als wirkliches Prachtsstück mit Fels erster Güte, einem Kletterfluss durch die langen Seillängen und einer Linie, die bereits von der Hütte aus studiert werden kann. Eine Seillänge habe ich besonders grandios in Erinnerung. Eine 40m 6+ Seillänge an Henkelschuppen und Rissen, steil und anhaltend, dazu im patagonischen Wind, der an diesem Tag kräftig bliess und uns dazu veranlasste mit Sturmkapuze zu klettern. Bis zum letzten Meter überzeugt die Visite Obligatoire auf ihrer ganzen Länge und das hat echt Seltenheitswert auf 300m Wandhöhe, oder?
Aiguille Dibona: "l'Étique de la joie", Ostwand
Hochgelobt wird diese Route, eine neue Perle an der Dibona Ostseite mit Start 5m rechts der Gedenktafel. Homogene Schwierigkeiten zeichnen auch diese Route aus, mehr oder weniger konstant im 6. Grad mit 6a+ Passagen, wobei wie auch bei der Visite der Schwierigkeitsgrad auch hier beherrscht werden sollte. Dann sind zusätzliche Sicherungsmittel nicht nötig und es macht einmal mehr einfach nur Spass an diesem festen, griffigen Gestein hinaufzuturnen. Wie auch bei der benachbarten Martine-Route sticht eine Schuppen/Rissseillänge hervor, die nach dem grossen Band. Eine Seillänge an runden, offenen Rillen/Rissen erfordert einen beherzten Vorstieg, die Kletterei ist ungewohnt und gefühlt weit gesichert, wenn auch nur mit 6a bewertet. In Summe klettert man in der "l'Étique" mehr an Schuppen und Rissen, wenn auch der erste Teil plattig ausschaut, die "Visiste" ist vom Charakter her plattiger zu klettern. Eine Empfehlung hat die l'Étique sicherlich verdient und wenn die Tour irgendwo anders wäre, wäre sie sicherlich bereits zum Klassiker emporgehoben worden. Wie überall an der Dibona, geiler Fels, abwechslungsreich und immer überzeugend!
Der Abstieg von der Dibona geht gut und leicht von statten. Am besten 2x 25m abseilen und dann die 50m auf dem Band entlang traversieren (leichte Kletterstellen im I. max. II. Grad). Auf dem Plateau, wo meist lange ein Schneefeld liegt, leiten dann viele Steinmänner und eine ausgetretene Spur durch das Schotter und Blockfeld hinunter. Wer die Routen an der Ostwand der Dibona gut kennt, findet dort auch sicherlich eine gute Variante mittels Abseilen. Ohne Ortskenntnis sicherlich aber eher verwegen...
Noch ein Tipp für die Anfahrt/Rückfahrt:
Von Zürich aus ist man in gut 4Stunden in Grenoble. Wer dieses Stück am Freitag Abend bereits zurücklegt, kann dort im OKKO Hotel nächtigen (booking.com). Liegt zwar im Zentrum (öffentliche gratis Parkplätze bis morgens um 9Uhr an der Strasse), aber sehr ruhig und neu mit interessantem Konzept: gratis Apéro und ein Snackbuffet, sowie Getränke rund um die Uhr gratis in der Lounge. Frühstück gibts bereits ab 7 Uhr. Die Speisen und Getränke haben alle eine super Qualität.
Von dort ist man in 1,5h beim Ausgangspunkt zur Soreiller Hütte.
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