Das Trio: Palü, Piz Zupo, Piz Argient
Müffige, sauerstoffarme Luft und ein Brennen der Haltemuskeln des Unterarmes, welche krampfhaft versuchen den Rucksack zu halten, erinnern mich trotz geschlossener Augen daran, dass wir noch immer in der total überfüllten Kabine der Diavolezza-Gondel zusammengepfercht mit zahlreichen anderen Tourengehern und Skifahrern stehen und darauf warten, dass endlich der Startschuss fällt: Tür auf und Manege frei. Willkommen im Festsaal der Alpen. Die Berninaregion trägt nicht umsonst diesen Beisatz, der Morteratschgletscher ist trotz seines jährlichen Masseverlustes ein dickes Ding, durchzogen mit einem Labyrinth an Spalten. Darüber thronen Piz Palü, Bellavista, Piz Zupo, Piz Argient und der namensgebenden Piz Bernina. Der höchste Berg im Umkreis und einziger 4000er der Ostalpen.
Alle drängen nach draussen, stürmen über die eisige, verkrustete Piste hinunter auf den Gletscher. Ein Rennen um die besten Plätze, dabei stellt die Abfahrt für viele mit ihren ungeschliffenen und weichen Tourenskiern bereits die erste Hürde dar und separiert das Teilnehmerfeld. Die nächste Selektion findet im Anschluss statt, wer hat am schnellsten von Abfahrt- auf Tourenmodus umgebaut? Felle drauf, Gehfunktion der Tourenstiefel rein, Jacke ablegen und eine letzte Ladung Sonnencreme wandert ins Gesicht. Wer seinen Gurt noch nicht angezogen hat, für den bietet sich hier die letzte Chance. Durchatmen, die Tour kann beginnen...
Wir befinden uns auf 3000m, die Luft ist dünn und zwingt zu einem gleichförmigen Schritt. Die Aufstiegsspur ist perfekt angelegt dafür, weite Kehren und schön flach, hier war ein Profi am Werk. Das Feld der Palüaspiranten verteilt sich zunehmends, es kehrt etwas Ruhe ein. So ein herber Auftakt wie der auf der Diavolezza, liess mich am heutigen Unterfangen zweifeln. Ich mag diese Menschenmassen nicht, nicht in der Stadt und schon gar nicht am Berg. Doch der Pulk ist friedlich, es wird gegrüsst und ein gutes Karma liegt in der Luft. Kein Wunder, bei diesem Kaiserwetter und den Traumverhältnissen. Es liegt nordseitig noch Pulver, zwar schon recht verspurt, aber immerhin. Die Luft ist schön kühl, die Fernsicht grenzenlos. Lediglich auf dem Sattel, wo der Fussanstieg zum Palü beginnt, empfängt uns eine frische Bise, die uns für den Rest des Tages begleiten wird.
Die Himmelsleiter auf den Palühauptgipfel ähnelt einer Autobahn, so lässt sie viel Freiraum zum Staunen und Geniessen des überwältigenden Panoramas. Für mich bestätigt sich in diesem Moment einmal mehr, dass die Berninaregion zu den schönsten Schauplätzen der Alpen gehört, wenn sogar nicht DER schönste. "Der Festsaal der Alpen", entweicht mir immer wieder über die Lippen, mein Blick schweift über diese endlosen Gletscher und weissen Flächen, die von wunderschönen Felsgraten und Gipfeln umzäunt werden.
Wir passieren gerade die Bellavista-Terrasse. Ein Laufsteg mit Aussicht, welcher von eisblauen Seracs bedroht wird. Ein Schiffsbug entspringt aus einem dieser mächtigen Eiswülste, grosse Eisbrocken, welche bis fast zur Aufstiegsspur herunterbröselten, mahnen zum Weitergehen. Eine vergängliche Schönheit, ich muss nochmals stehenbleiben und diese Eisriesen fotografieren. Fasziniert von der Schichtung, der Form, der Farbe und ihrer Struktur.
Mit einer kurzen Abfahrt von der Bellavistaterrasse stossen wir auf das oberste Gletscherbecken, welches zu unserer Linken vom Piz Zupo begrenzt wird. Die alte Spur ist zugeweht, mühsam zeichnen wir eine Neue in den stumpfen, pulvrigen Schnee. Windfahnen am Gipfelgrat verheissen ungemütliche, letzte Aufstiegsmeter zum höchsten Punkt, dem gerade 4m zum 4000er fehlen. Ob er deshalb nicht so viel Besuch abbekommt und auch sein etwas kleinerer Nachbar, der Piz Argient? Egal, uns freuts, dass wir alleine sind nach all dem Trubel rund um den Palü und die Diavolezza. Die Ski lassen wir auf der Fuorcla, Bruchharsch durchzieht die ganze Westflanke des Piz Zupo und Eis tritt beim Piz Argient und seiner ansprechenden Nordflanke hervor. Die Fussaufstiege sind umschwierig, wenn auch kräftezehrend.
Ich strecke beide Arme aus, lass den Wind durch die offenen Belüftungen meiner Jacke und Hose sausen, atme tief ein und sauge diesen wunderbaren Moment von Freiheit und Glückseligkeit in mir auf, bevor ich mit Hari einschlage. Berg heil! Die letzten Meter zum Gipfel fühlten sich an, als ob ich von Achttausendern umgeben wäre, das harte Graben durch die Westflanke forderte Nerven und Lunge. Plötzlich, mit dem letzten Schritt, fühle ich mich leicht und schwebend, bevor der leichte Kopfschmerz von der Höhe wieder Oberhand übernimmt. Schon viel zu lange bewegen wir uns oberhalb von 3000m, ohne vorherige Akklimatisation, es ist an der Zeit gen Tal zu gleiten.
Zwischen Gletscherspalten hindurch, mit kurzem Gegenanstieg durchs "Buuch" treten wir den Rückweg an. Unten auf dem Morteratschgletscher dann endlich schöner Firn und schliesslich die sulzige Buckelpiste der markierten Talabfahrt von der Diavolezza. Wir sind müde, ausgelaugt, die Lippen brennen und die durstige Kehle schreit nach einer Erfrischung. Nur noch wenige Meter Langlauf, dann ist das Ende bei der Station Morteratsch erreicht. Wieder Getummel, wieder grosse Menschenmassen, aber alle mit einem dicken Smiley im Gesicht. Entspannte Atmosphäre herrscht beim Blick zurück, bevor wir die letzten Höhenmeter des Tages machen: die Stufen hinein in den Zug...
Piz da la Margna Nordcouloir
Nach all dem Trubel rund um die Diavolezza war ein ruhigeres Örtchen angesagt. Maloja ist noch immer gut eingeschneit und bietet mit dem Piz da la Margna einen eher unbekannten 3000er für Liebhaber steilerer Abfahrten. Dabei brauch sich der Berg nicht hinter den bekannten Klassikern verstecken, dominant und bereits von Samedan ersichtlich, markiert er stolz sein Revier zwischen Val Forno und Val Fedoz. Das Revier für Nordhangtourengeher.
Auf perfekt durchgefrorenen Firnhängen im gedämpften Licht der leichten Schleierbewölkung geht es nach einem Warmup auf der Loipe steil zur Sache und wir gewinnen rasch an Höhe. Die andere Talseite, die südlichen Gefilde überhalb Malojas, sind bereits mit braunen Flecken versehen, hier aber, auf unserer Seite, hat der Winter noch das Zepter in der Hand. Im hinteren Kessel von Valacia überblicken wir endlich unser Objekt der Begierde, die 40Grad steile, teilweise recht schmale Rinne hinauf zum Gipfel. Ein einzelner Tourengeher ist bereits ziemlich weit oben am Werkeln, ansonsten sind wir alleine unterwegs. Bis zur Verjüngung kommen wir auf guter Spur mit angeschnallten Ski gut voran, ab da heisst es unter einem Felsvorsprung buckeln. Gerne greifen wir heute auf die bereits vorhandene Trittspur zurück, gut 200Hm zählt der schmalere Teil der Rinne. Oben weitet sie sich zu einem flacheren Trichter, der abermals ein Gehen mit Ski zulässt und direkt bis zum Gipfel führt.
Neben der schönen Nordrinne lohnt der Besuch des Gipfels auch schon deswegen, weil er als freistehender Berg eine grandiose 360Grad Rundumaussicht verspricht. Die Bergeller Schönheiten im Südwesten, Monte Disgrazia im Süden und der unberührte Gletscher Vadrec da Fedoz mit den überdimensionalen Spalten unterhalb des Piz Fora zieht die Blicke auf sich. Es ist windstill und total ruhig, ein Päuschen genehmigt, denn die Uhr zeigt erst 10:30Uhr an. Zu Mittag wollen wir wieder unten am Auto sein, um von den guten Firnbedingungen optimal profitieren zu können. Das Couloir selbst besteht aus Pressschnee, der wie eine Piste zu fahren ist, ideal, wenn natürlich auch nicht ganz so schön, wie wenn es staubt und stiebt.
Piz Tschierva Runde
von Morteratsch nach Pontresina
Wenn ich eine Tour auszusuchen hätte, die das Mass aller Dinge für folgende Kriterien darstellt, ich würde es genau so wieder machen!
1) Panorama
2) beeindruckende Bergschönheiten
3) perfekte Firnhänge
4) Traverse, von A nach B und easy mit ÖV retour
Idealer kann man diese Tour wohl kaum vorfinden, auf den Punkt genau flitzen wir die steilen Südhänge unterhalb des Piz Tschierva in spritzendem Firn hinab, dabei hatte es im Anstieg zur Fuorcla Misaun noch Pulver. Mit der sich einstellenden Föhnwetterlage erwischen wir ein letztes Schönwetterfenster, wir erhalten Sonne von Anfang bis Ende, während die hohen Gipfel drumherum abwechselnd mit einer Wolkenglocke behangen sind. Ein Naturschauspiel, das zusätzlich zu den eh schon vorhandenen Bergschönheiten, das I-Tüpfelchen obendrauf setzt. Ein weiches Licht begleitet uns, während im Minutentakt das Wolkenspiel neue Formen zaubert.
Einziger Negativpunkt der Tour, wer ungeschickt im Langlaufen ist, wird es spätestens auf den letzten 6km das flache Val Roseg hinaus lernen müssen...Wir waren jedenfalls froh im Winter einige Stunden auf den Skatingski im Engadin verbracht zu haben;-)
Kommentar schreiben