Der Eiger ist der Eiger. Ein markanter Berg, ein geschichtsträchtiger Berg, ein Berg mit Charisma und Mythos. Letztes Jahr rückten wir einen Monat früher aus, mit der Wettkampfskiausrüstung waren wir bei den vorherrschenden Verhältnissen nicht für eine sichere Befahrung gewappnet. Wir kehrten zwar mit dem Gipfel in der Tasche, nicht aber mit einer vollständigen Skibefahrung, zur Kleinen Scheidegg zurück.
Unfinished Projects.
Wenn die Saison auch schon deutlich fortgeschritten, mit dem massiven Neuschneefall vom 28./29.05. witterten wir unsere zweite Chance, am Eiger nochmals anzugreifen. Der 30.5. erschien uns etwas zu kühn in Anbetracht der gefallenen 50cm Neuschnee, der 31.5. war mit Arbeit belegt, also musste der 01. Juni herhalten. Mit den klaren Nächten sollte die starke Erwärmung untertags uns nicht zum Nachteil werden. Mit der Hoffnung auf guten Firn sassen wir also um 7:25Uhr in der ersten Bahn hinauf zum Eigergletscher. Der erste Augenschein ab der Station Eigergletscher rief ein deutliches "Herje, das hätten wir uns aber anders erwartet" hervor. Die komplette Bahn unterhalb des bedrohlichen Seracs war mit Lawinenschnee gefüllt und die ersten Schritte mit Ski deuteten darauf hin, dass es nicht gefroren hatte, wir sanken ein.
Doch wie so oft im Leben, wenn der innere Antrieb überwiegt, die Neugierde nur gross genug ist und das Team gut aufgelegt ist, muss man einfach mal weitermachen und nicht gleich aufgeben. Wir sollten Recht behalten. Die Lawinenbahn war hart gefroren und mit aufgebundenen Ski zwar anstrengend für die Waden, dafür rasch passierbar. Wir gewannen schnell an Höhe, was in der Seraczone nur von Vorteil ist. Mit jedem Schritt, den du zum Schluss hin machst, stapfst du ein Schritt mehr ins Leben zurück. Ein Schritt weiter weg aus der objektiven Gefahrenzone, weiter weg von diesem übermächtigen Serac, der Leib und Leben bedroht. Und schliesslich auch aus dem Schatten hinein ins Licht, der Tag erwacht oberhalb des Eisbruchs.
Noch immer ist die Schneedecke pickelhart gefroren, teilweise fast schon glänzend eisig. Wir finden keinen Platz um Pause zu machen, nirgends lässt sich in dieser Steilheit der Rucksack abstellen, geschweige denn ein Picknickplatz improvisieren. Wir müssen also weiter, keine Pause für die Waden, keine Pause um Energiespeicher und Psyche wieder aufzufüllen. Ich bin am kämpfen. Mit mir selbst, mit meinen Wehwehchen, die heute richtig deutlich in Erscheinung treten. Mein linkes Knie, das mit einer Sehnenüberreizung kämpft, sticht bei jedem grösseren Antritt mit links. Mein rechter Fuss, der im Sprunggelenk ein langwieriges, knöchernes Problem aufweist, schmerzt, sobald ich den Fuss seitlich belasten muss. Meine Lunge ringt nach Luft, nicht nur wegen der Höhe, sondern auch wegen Halsschmerzen. Bin ich eigentlich noch ganz bei Sinnen? Ein wandelnder Geist auf 2 Frontzacken.
Die Eigerflanke zieht sich.
Irgendwann treffen wir zwar auf eine perfekt angelegte Aufstiegsspur, die nur noch verlangt, Schritt vor Schritt zu setzen. Doch gerade diese Homogenität bringt das Fass zum überschäumen. Der Gipfel kommt nicht näher und ein Blick auf die GPS-Uhr bestätigt: 100 Höhenmeter waren das gerade seit dem letzten Blick auf die Uhr vor einer gefühlten Ewigkeit. Meinen beiden Kameraden geht es heute allerdings auch nicht viel besser. Peter kämpft mit der Höhe und seinen Waden, Harald mit der Höhe und schwachen Beine. Eine kollegiale Leidensgesellschaft, die nur eines im Sinn hat: wir fahren heute vom Gipfel ab! Punkt.
Die Gedanken kreisen, die Stimmungslage schwankt. Und so richtig nehme ich meine Umgebung gar nicht mehr wahr. Es ist still geworden, niemand spricht etwas, auch Haralds aufmunternde Worte und ein Powergum helfen nicht. Erst am Gipfel, nachdem ich wie in Trance die Steigeisen abmontiere, die Felle verräume und stoisch einen Riegel in die ausgetrocknete Kehle hineinstopfe, erwache ich zu neuem Leben. Wow, das war heut mega zäh!!!
3,2,1 drop in
ok, so spektakulär wie in diesen Skifilmen gings bei uns nicht zu. Der oberste Teil, der noch vollkommen eisig und hart war, verlangte ein kontrolliertes Abrutschen. Der Tiefblick am Eiger ist berauschend. Zwar ist die Flanke nie so wirklich steil (45Grad), dafür aber felsdurchsetzt und konstant geneigt. Mit den alpinen 4000ern, welche dich umgeben und der Sicht auf den grünen Talboden, ist das Ambiente nochmals beeindruckender. Ich bin froh um meinen Wippet, ein Skistock mit integriertem Pickelkopf. Erst als wir die Schulter passieren, fällt die Spannung ein wenig, eine wunderbare Firnflanke mit richtig tollem slushy Schnee erfreut unser Gemüt und wir wissen auf einen Schlag: das ist der Grund warum wir gekommen sind. Geilo. Richtig steiler Firn mit Tiefblick.
Deutlich weniger erquickend ist dann der Rückweg unterhalb des Serac über die Lawinenbahn. Auch wenn die Eisblöcke und Knottln nun aufgeweicht sind, sie lassen sich nicht gscheit befahren. Wir suchen nach den glatteren Abschnitten, auch wenn sie teilweise nur 2m breit sind. Abrutschen, Umsteigen, Umspringen und dann wird man wieder durchgerüttelt. Die Ski verkanten, reisen ein Bein zur Seite, hoppla, das war knapp. Wenn uns auch nur irgendjemand beobachtet hätte, wir dürften es ihm nicht übel nehmen, wenn er unsere skifahrerische Kompetenz angezweifelt hätte. Wie der erste Mensch auf Skiern torkeln wir den langen Hang hinab. Der Faulschnee weiter unten bis zur Kleinen Scheidegg war da fast schon wieder Genuss.
Die Eiger Westflanke. Ein Klassiker
Es gibt durchaus schwierigere und deutlich steilere und extremere Abfahrten, doch beim Eiger schwingt auch immer dieser Mythos Eiger und dieses Restrisiko mit dem Serac mit. Beim Eiger klatschst du demnach zweimal ab: am Gipfel und bei der Kleinen Scheidegg. Und das Panaché schmeckt mit Ausblick auf die Westflanke gleich doppelt so gut.
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