Einer der Klassiker im Berner Oberland, die Doldenhornüberschreitung. Stellte sich uns nur noch die Frage, werden die Verhältnisse ausreichend sein, um das Doldenhorn als Tagestour von Kandersteg aus angehen zu können? Denn das Doldenhorn leidet unter Firnschwund und bei dieser anhaltenden Hitzeperiode darf man sich durchaus im Juli bereits die Frage stellen, ob der charakteristische Firngrat noch existiert?
Wir sollten Recht behalten, die Tour war soweit noch machbar, aber eher auf Stufe "aller höchste Eisenbahn", blanke Passagen traten bereits zu Tage, der Gipfelbereich im Abstieg völlig blank, Spalten auf der Firnschneide öffneten ihre tiefen Löcher und der Ausstieg nach der langen Plattenquerung im Mittelteil (dank der Hitze ohne Wassereis, irgendwo muss die Hitzewelle ja auch Vorteile mitbringen;-)) erforderte einen Eisboulder, der so in der Art anscheinend, gut eine Woche früher, noch nicht existierte.
In Summe eine wunderbare, abwechslungsreiche Tour, mit typisch Berner Oberländischen Charakteristika. Schotter wechselt mit guten Fels Passagen, nach unten geschichtete Kalkplatten erwarten den Begeher ebenso, wie tolle Firnschneiden. Und es ist einfach nicht so viel los wie im Wallis. Hohe Dreitausender stehen anscheinend weniger hoch im Kurs als prestigeträchtige 4000er. Uns solls Recht sein. Wir geniessen die Ruhe und Einsamkeit auf unserer Tour, die bereits im Dunkeln an der Talstation der Oeschinenseeseilbahn startete. Erst auf Höhe Öeschinensee begann es zu dämmern und als wir mit jedem Schritt auf dem sehr gut angelegten Weg zur Fründenhütte tiefer auf den türkisblauen See starrten, realisierten wir die Ausmasse unserer heutigen Tour. 2500Hm gab es in Summe zu bewältigen, im Auf- wie im Abstieg.
Die hohen Gipfel versteckten sich noch in Wolken, Blüemlisalphorn, Oeschinenhorn, Fründenhorn, aber auch unser Doldenhorn. Doch es bildeten sich schon erste Wolkenfenster und der ein oder andere Sonnenstrahl schaffte es die Umgebung zu erhellen. Ohne Eile und Hektik, dafür stetig aufwärts peilten wir den Einstieg in den Galletgrat an. Von der Fründenhütte lässt sich die Querung gut studieren, der Steinmann auf P2600 ist sogar ersichtlich. So spektakulär wie die Querung auch von Weitem erscheinen mag, so einfach entpuppte sich bei uns der Übergang vom Gletscher in den Fels und über das Band, welches mit roten Strichen markiert ist, hinauf zur Scharte beim Steinmann. Ein Stolperer sollte man aber trotzdem vermeiden ;-)
Über Geröll geht es auf einem guten Pfad weiter, typisches Gelände. Der Gipfel des Doldenhorn bereits im Blickfeld sowie die ganze Route. Oben ist auch der dunkle Aufschwung mit den Ketten zu erblicken, wir sind gespannt, was uns erwartet. Erstaunt über diesen Eisboulder, der mit jeweils nur einem Eisgerät durchaus zur Herausforderung wurde, überlegten wir, was uns wohl noch unter die Füsse kommen sollte. Doch mit etwas Kreativität liess sich auch dieses Boulderproblem lösen, mit geschlagenen Hooks und einem preplaced Eisgerät an entscheidender Stelle, schaffte es auch der Zweite mit nur einem Eisgerät über die interessante 2m Stelle, welche vermutlich früher in der Saison noch mit Firn und Schnee gefüllt ist, so dass nur ein steilerer Aufschwung, um die lange Plattenquerung zu verlassen, zu überwinden ist.
Am Kettenturm ist Präzision beim Steigen gefragt, möchte man nicht seinen Bizeps aufpumpen. Senkrecht ziehen die Ketten nach oben, der im Klettern Ungeübte wird ins Schnaufen kommen, zusätzlich zur gewissen Exposition, welche dieser Kettenturm ausstrahlt. Am Ende steigen wir in die Sonne aus auf ein kleines Plateau, welches zu einem schmalen Grat leitet. Fast ungläubig blicken wir zu dieser, mit grossen, runden Steinen, brüchig anmutenden Fels- und Schuttschneide. Doch auch hier, der Schein trügt, es löst sich alles prima auf und der Weg ist frei für das Prunkstück der Route, die Firnleiter.
Noch immer ziehen Wolken auf Gipfelniveau durch und unterstreichen die Struktur des Firngrates. Wir sind hin und her gerissen zwischen Anseilen, wegen den Spalten, die sich auf der Firnschneide öffnen und Nichtanseilen, wegen der Mitreissgefahr. Letztendlich bleiben wir beim Entscheid, die Tour solo fortzusetzen und erst beim Abstieg über den grossen Doldenhorngletscher anzuseilen. Zu früh entschieden, das Seil muss doch noch aus dem Rucksack raus. Eine fiese Stelle mit Absturzgefahr wartet Richtung Schluss. Eine kleine Felsstufe, grifflos, muss überwunden werden. Im Führer mit II bewertet? Vermutlich liegt auch hier für gewöhnlich deutlich mehr Schnee und die grifflose Felsstufe kann easy erstiegen werden. Wir klippen also den hilfreichen Bohrhaken und ziehen uns mit Hilfe dessen über die glatte, mannshohe Stufe.
Originell ist nochmals der Ausstieg aus dem Firngrat über die Felsen zum Gipfel. Eine Hängeleiter muss erklommen werden, gefolgt von einer schönen, gestuften Felspartie, die unvermittelt den Bergsteiger zum Gipfel entlässt.
Der Abstieg bis zum Spitze Stei gestaltet sich unproblematisch, wenn auch die Gipfelflanke blank ist. Die grossen Spalten werden umgangen bzw. existieren noch dicke Spaltenbrücken. Was uns allerdings ab dem Spitzen Stei erwartet, ist futuristisch und furchteinflössend zugleich. Das gesamte Gelände dort bewegt sich, es wird ein Rutsch erwartet und Schilder weisen auf vermehrten Steinschlag hin. Trotz dem unwegsamen Gelände sind wir froh unser Schuhwerk wechseln zu können, die Bergschuhe wandern in den Rucksack, die Trailrunningschuhe schmiegen sich an die geschwollenen Füsse. Es ist heiss und bereits weit nach Mittag, die Sonne brennt unerbärmlich in das riesige Blockfeld, wo sich der markierte Abstiegsweg seinen Pfad hindurchbahnt. Loses Blockwerk, Geröll, Schutt, skurrile Türme und ein Durchschlupf, der den Weg nach unten durch die Mondlandschaft freigibt.
Wir schlittern auf dem Rollsplitt Richtung Grün, welches uns nach fast 1600Hm steilem Abstieg empfängt. Eine Wohltat die graue Wüste zu verlassen und in das sprudelnde Leben aus Vegetation und Tierwelt einzutauchen. Es duftet bereits von der Doldenhornhütte her, wir gönnen uns eine lange Pause auf der gemütlichen Hüttenterrasse, welche zu dieser Uhrzeit zwar gut besucht ist, aber auch nicht restlos überfüllt. Die Bewirtung auf der Doldenhornhütte ist spitzenmässig. Ein Doldenhüttenplättli wandert auf unseren Tisch, gespickt mit Köstlichkeiten der Region, Fleisch- und Wurstwaren sowie Käse. Reichlich für 2 hungrige Mäuler! Da brauchten wir noch nicht mals mehr einen Kuchen als Nachspeise...
Der Abstieg von der Hütte ist dann Formsache und der Drang, die heissen Füsse zu lüften, macht sich breit. Wie herrlich das Gefühl, wenn die letzen Meter zum Auto Wirklichkeit werden und man tatsächlich die Last vom Rücken zu Boden schmeissen darf und die Stinkefüsse Luft schnappen dürfen...Dann lässt sich endlich zurückblicken, auf einen verdammt lässigen Tag, lang und ausgefüllt, erlebnisreich und beeindruckend.
Infos Doldenhornüberschreitung (ZS+):
Start und Ziel: Kandersteg, Talstation Seilbahn Oeschinensee
Aufstieg über Fründenhütte und Galletgrat
Abstieg über Normalweg und Doldenhornhütte
Distanz: 22km
Höhenmeter: 2500Hm
Zeit bis zum Gipfel inkl. Pausen: 7h
Gesamt inkl. Pausen: 12h
Material am 22.07.2019
30m 6,9er Zwillingsseil
1 Steileisgerät/Person
Petzl Irvis Hybrid Steigeisen + La Sportiva Trango
Trailrunningschuhe Inov-8 X-Talon 212
Kommentar schreiben