Etwas verrückt mag diese Idee vielleicht klingen, aber was ist schon normal? Um zusammen das Gipfelpanorama des 4010m hohen Lagginhorns bestaunen zu können, mussten wir unsere Vorhaben gut timen. Dass Zeit bekanntlich relativ ist, machte es nicht einfacher. Um DIE Zeit ging es jedenfalls bei unseren Anstiegen aufs Lagginhorn, Er via Normalweg, Sie via Südgrat. Zum Zeitunglesen blieb allerdings keine Zeit, höchstens auf der Busfahrt zum Ausgangspunkt Saas-Grund.
Das Lagginhorn bietet als gletscherloser Berg über den Normalweg beste Voraussetzungen, um rekordverdächtige Zeiten aufzustellen. Von der Kirche in Saas-Grund bis zum Gipfel sind es knapp 10km bei 2450Hm. Der Anstieg bietet bis zur Weissmieshütte einfache Wanderwege und danach Blockgelände ohne grössere Schwierigkeiten, sowie ein wenig steiles Firnfeld. Das Firnfeld am Gipfel taute in den vergangenen Sommern jeweils vollständig ab, somit braucht es beim richtigen Timing für den erfahrenen Skyrunner weder Pickel noch Eisen, was den Rucksack deutlich leichter macht.
Über den Südgrat ist das Lagginhorn in leichter, langer Kletterei von der Station Hohsaas zu erreichen. Weder der 3. Schwierigkeitsgrad wird überschritten, noch folgt der Anstieg losem Gestein oder führt über einen spaltenreichen Gletscher. Somit geeignet für speedige Absichten und Solokraxler meiner Meinung nach.
Ein Berg für Soloisten also. Und sogar einer der 4000er.
Wir sind am planen. STRAVA erzählt uns von einer Zeit von 2:15:59h für Stephan Hugenschmidt, der Zweit- und Drittplatzierte (Geri und Chris) liegen mit +/- 2:36h mit etwas Abstand dahinter. Nun gut, da wird sich der Herr Neuhauser anstrengen müssen, möchte er einen virtuellen "Podestplatz" ergattern in der Rangliste des Segments Saas Grund - Lagginhorn. Ich bin optimistisch. Doch wo habe ich mich einzuordnen beim Südgrat? Wo liegen da so die Zeiten? Was sagt der Tourenführer, wieviel Höhenmeter sind es? Wie schwierig ist tatsächlich das Gelände? Kann ich tatsächlich auch die beiden Abseilpassagen abklettern? Fragen türmen sich auf, Antworten finde ich, aber keine, um mich tatsächlich im Zeitgefüge einordnen zu können.
Schliesslich lasse ich mein Gefühl walten, ich starte mit dem Bus um 8:12Uhr in Saas-Almagell, verzichte auf Seil und Klettergurt. Pur soll es werden. So wie bei Hari, der das ausgiebige Frühstück im Hotel noch ein Stündchen länger verdauen darf. Er wird gegen 10Uhr zum Skyrun in Saas-Grund aufkreuzen, aufwärmen und dann den Knopf der Stoppuhr exakt bei der Kirche tätigen, um nach überraschenden 2:32:43h am Gipfel des Lagginhorns abzuschlagen. Während ich mit elendsschweren Beinen seine persönliche Bestzeit nur vom letzten Anstieg auf dem vorblockten Westgrat erahnen kann. Die Zeit hatte mich ein zweites Mal an diesem Tag getäuscht.
Nachdem ich, überraschend zügig, den Südgrat hinter mich gebracht hatte, wartete ich vergebens am Gipfel auf Hari. Kein leuchtender Punkt auszumachen, "da unten auf dem Firnfeld muss er doch irgendwo sein"...Ich entschied also bis zur Schulter abzusteigen, um dort auf Hari in der Sonne zu warten und ihn für diesen letzten Aufschwung von 400Hm kräftig anzufeuern und zu begleiten bis zum Top. Dass ich nach meiner Action am Südgrat kaum noch vom Fleck kommen würde bergan, hatte ich nicht bedacht. Bereits nach wenigen Minuten war der blaue Punkt Hari mit dem leuchtend roten Rucksack vor meinen Augen verschwunden und in die Steinwüste eingetaucht, als er mich passierte. Immerhin, ein Actionfoto und ein paar aufmunternde Zurufe brachte diese Aktion. Das Timing stimmte somit zum zweiten Mal für diesen Tag nur mittelprächtig.
Nein, mit der Zeit habe ich es nicht so. Ich merke mir ja noch nicht mal mein Alter. Am liebsten bin ich zeitlos, so wie in den Ferien. Dabei wird man mir im richtigen Leben Pünktlichkeit zuordnen. Schräge Sache...das mit der Zeit.
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