Dieser Sommer ist anders als die anderen. Furztrocken und heiss. Die Berge sind schnee- und eisfrei. Kein gutes Omen für vergletscherte Hochtouren, aber perfekt für Touren im Fels. So beschloss ich eines Morgens mit dem ersten Bus von Aeschi nach Zermatt zu fahren, mit der Seilbahn entspannt auf Schwarzsee zu schweben, zur Hörnlihütte aufzusteigen und dann, wenn ich mich gut fühle, den Hörnligrat anzuhängen. So ein Ausnahmesommer ist der 2022er eigentlich gar nicht, denn 2017 war ich Ende Juni mit Hari schon mal am Hörnligrat unterwegs und damals rückten wir mitten in der Nacht an, von Zermatt versteht sich und in unseren Inov-8 Tretern. Im Gegensatz zu heute war damals das Matterhorn komplett schneefrei, wir brauchten weder Pickel noch Steigeisen und die Hütte hatte noch nicht geöffnet. Somit durften wir von einer "freien Bahn" am Hörnligrat profitieren. Leider war weder die Fitness, noch der Akklimatisationsgrad optimal, so dass wir doch relativ lange brauchten, begleitet von starkem Schädelweh.
Heute bin ich zwar auch nicht übermässig akklimatisiert, in meinem Rucksack führe ich aber Steigeisen und einen Pickel mit. Die Hütte hat bereits seit 01.07 offen, da es aber Mittwoch ist, hoffe ich auf weniger Seilschaften als am Wochenende. Durch meinen azyklischen Start bei der Hörnlihütte sollte der Grossteil der Seilschaften bereits im Abstieg unterhalb der Solvayhütte sein. Soweit der Plan.
Bei der Hörnlihütte angekommen gönne ich mir noch eine Cola und prüfe nochmals meinen Gemütszustand. So eine Tour wie das Matterhorn habe ich bisher noch nicht solo gemacht. Ich bin zwar schon deutlich schwieriger solo geklettert, habe schon die ein oder andere ziemlich verwegene Route in meinen Hausbergen alleine erkundet, bin auch häufig alleine unterwegs. Und doch habe ich Respekt. Aber ich weiss, dass ich mich auf mein instinktives Gespür für den besten Weg und vor allem auf meine Kletterfähigkeiten verlassen kann.
Noch vor dem 3. Couloir kommen mir bereits 3 geführte Seilschaften entgegen, ich warte an geeigneter Stelle auf sie, sie danken mir. Nicht mehr, nicht weniger. Quasi neutral-höflich. Warum erwähne ich dies hier? Weil es noch anders kommen soll. Ich erlebe an diesem Tag so ziemlich alles, Dramen und Tränen des Glücks und der Freude, von flotten Seilschaften über weniger Flotte, von führerlosen Seilschaften, die hilflos umher irren, aber auch ein geführter Bergsteiger mit seinem Guide, der den Hauptweg verloren hat. Einzelgänger, die überglücklich den Gipfel erreichen und erst spätabends wieder bei der Hütte unten sein werden. Masslos überforderte Seilschaften, die auf allen Vieren mit Pickel und Steigeisen bewaffnet sich die Gipfelflanke hochpickeln werden.
Das Klima am Hörnligrat ist nicht sehr wohlwollend, es ist angespannt, die Atmosphäre brodelt. Dabei sind die Bedingungen perfekt, kein Gewitter in Sicht. Aber die Überforderung steht allen ins Gesicht geschrieben, einheimische Bergführer ausgenommen, sie lassen ihre Routine und Erfahrung auf dieser Route, an diesem Berg, walten. Nur sehr wenige Seilschaften schauen noch fit aus, besonders ausländische Bergführer haben Mühe mit ihren Gästen. Ich möchte nicht pauschalisieren, doch dies habe ich speziell an diesem Tag genauso wahrgenommen und schildere hier nur meine (eventuell sehr subjektiven) Eindrücke.
Um das Matterhorn über den Hörnligrat zu besteigen verlangt es keinen Spitzenkletterer, es verlangt auch keinen Spitzenalpinisten. Aber es verlangt einen äusserst trittsicheren, grundsoliden Berggeher, der Tiefblicke nicht scheut und sich über sehr lange Zeit hundertprozentig konzentrieren kann. Ein Stolperer, ein Fehltritt und es könnte dein letzter gewesen sein. Genau diese Anforderungen erzeugen anscheinend diese angespannte Atmosphäre. Jeder möchte auf diesen formschönen Berg, ein Prestigeobjekt für einige, doch für die meisten unerreichbar.
Im Prinzip kann man die Route fast nicht verfehlen, sie ist so stark abgeklettert und ausgetreten, dass man es direkt spürt: Ein flechtiger Griff in der Hand und du weisst sofort, dass du falsch bist. Doch dazu braucht es viel Erfahrung und viel Aufmerksamkeit. Diese so lange aufrecht zu erhalten, ist die Crux. Ich stelle es mir wirklich noch schwierig vor als Bergführer meinen Gast vom ersten bis zum letzten Meter sicher das Matterhorn hoch und wieder runter zu bringen. Und nicht nur das, ihm auch noch ein schönes Erlebnis zu vermitteln, den Berg mit Freude zu besteigen um die Tour unvergesslich zu machen. Ob es da nicht öfters gut wäre, einen Gast abzulehnen, der eben noch nicht bereit ist für diese Tour? Aber auch sich selbst als Bergführer zu reflektieren: langen meine Fähigkeiten, meine Erfahrung, meine Kenntnisse über die Route um meinem Gast dieses Erlebnis schenken zu können und ich kein übermässiges Risiko eingehen muss? Vermutlich gehört das Führen des Hörnligrats zur Königsdisziplin auf den Normalwegen der 4000er...
Mein Respekt vor den Guides, die dies so umsetzen können. Ich konnte jedenfalls deutlich erkennen, wer am Anschlag ist und wer noch Puffer hat.
Umso erschreckender empfand ich die Anmassung eines deutschen Bergführers, der mich nicht nur schräg musterte, sondern auch mit blöden Kommentaren bombardierte. Leider ging mir in diesem Moment nicht der richtige Wortlaut über die Lippen. Zu gerne hätte ich ihn vor seinem Gast bloss gestellt. Frauen, die etwas mehr drauf haben als er, waren ihm jedenfalls zu wider.
Apropos Frauen: Allgemein stellte ich fest, dass nur wenige Frauen am Berg unterwegs waren. Von den geschätzten 40 Personen waren es 4. Dabei hätte ich jetzt mal so aus dem Bauch heraus geschätzt, dass nicht deutlich weniger Frauen als Männer Bergsteigen gehen, vielleicht 40 zu 60? Je anspruchsvoller die Tour, desto weniger. Aber wir reden hier ja noch von einem "Normalweg" und nicht einer "Piolet d'Or"-verdächtigen Erstbegehung. Frauen sind schon risikoaverser als Männer, aber ist ihnen das Matterhorn zu riskant? Dabei glaube ich, dass es der Route gut tun würde, wenn mehr Frauen auf ihr unterwegs wären. Die Atmosphäre wäre weniger testosteronlastig und vielleicht auch deutlich entspannter.
Ich genoss jedenfalls sehr den Moment oben am Gipfelkreuz, ganz alleine am Gipfel zu sitzen, in die Ferne zu blicken und die Ruhe aufzusaugen. Das Panorama der Zermatter Bergwelt ist schlichtweg fantastisch und das Matterhorn ein wunderschöner Berg mit einer eleganten Route über den Hörnligrat (das schaut doch von unten nicht so aus, als dass man da fast ohne Kletterschwierigkeiten durchkommt!). An diesem Mittwoch benötigte ich ca. 3 Stunden von der Seilbahnstation Schwarzsee bis zum Gipfel des Matterhorns (2:04h von der Hörnlihütte), ich trug einen Helm und meine heissgeliebten Inov-8 X-Talons. In meinem Rucksack führte ich Pickel und Stahl-Micro-Crampons mit, sowie ein Primaloft für alle Fälle, Biwaksack und Erste-Hilfe-Paket. Aber ich verzichtete bewusst auf ein Seil. Im Aufstieg verkofferte ich mich kein einziges Mal. Im Abstieg folgte ich einer Rippe etwas zu lange, im Gegensatz zu der Seilschaft nebenan am brüchig-steilen Grat, war dies trotzdem die bessere Variante. Ich habe keinen einzigen Stein losgetreten, noch bin ich irgendwo gestolpert, noch habe ich irgendwo pressiert. Immer konzentriert und wohlüberlegt, in jeder einzelnen Minute. Bei der Hütte zurück war dann mein Kopf leer und ich müde. (Für den Abstieg habe ich mehr oder weniger gleichlang gebraucht, wie für den Aufstieg).
Schliesslich freute ich mich Hari zu sehen, der mich auf der Hörnlihütte empfangen wollte. Da ich allerdings schneller als gedacht war (so langsam sollte ich es doch auch wissen, dass ich eigentlich immer schneller bin, als gedacht ;-)), ewartete nun ich Hari...Danke für den Pick-Up-Service, diese mentale Stütze, zu wissen, dass jemand auf einen wartet, war goldwert an diesem stahlblauen Prachtstag Mitte Juli.
Kommentar schreiben