· 

Hörnligrat am Matterhorn im Speedmodus

Aussergewöhnlich. Ein Wort, das einen Umstand beschreibt, der vom Üblichen, vom Gewohnten abweicht bzw. über das gewohnte Mass hinaus geht. Das Matterhorn ist für mich (und für viele andere Menschen vermutlich auch) definitiv aussergewöhnlich. Eine Berggestalt, die ihresgleichen sucht. Edel, erhaben, mächtig, formschön, elegant, prächtig. Adjektive finden sich wie Sand am Meer um diesen, meinen Lieblingsberg, zu beschreiben. Aussergewöhnlich könnte man auch diesen Sommer 2022 beschreiben, wobei er wohl nur in unserem Empfinden aussergewöhnlich ist, vielmehr dürfte er Vorgeschmack sein auf das, was uns in Zukunft erwarten wird: lange Trockenperioden kombiniert mit Hitzewellen und dann wieder Starkregenereignissen. Und aussergewöhnlich ist drittens auch die Rekordzeit von Andi Steindl, der in knapp 4 Stunden von Zermatt auf seinen Hausberg und wieder zur Kirche in Zermatt zurück gesprintet ist. Das war am 27. August 2018. Für den Hörnligrat von der Hörnlihütte aus benötigte er unglaubliche 1h11'14''. Zum Vergleich und um die Leistung einordnen zu können: eine normale, gut eingespielte Seilschaft muss mit 4 Stunden rechnen.

Diese Auflistung findet ihr in der Hörnlihütte am Pinboard.
Diese Auflistung findet ihr in der Hörnlihütte am Pinboard.

In diesem Kontext des Aussergewöhnlichen betrachtet sind dann meine persönlichen Errungenschaften gar nicht mehr so aussergewöhnlich, wie von dem ein oder anderen Bekannten von mir postuliert wurde. Klar, mir gelingen einige "Rekorde", aber man sollte nicht vergessen, dass das Skyrunning/Speedbergsteigen eine völlige Randsportart ist, besonders unter Frauen. Die Konkurrenz ist nahezu Null. Das ist wie, wenn du an einem Wettkampf teilnimmst und in deiner Kategorie nur drei Leute partizipieren. Auf dem Podest wirst du allemal stehen, solange du kein DNF machst...

Meine Motivations- und Beweggründe sind primär aber ganz anderen Ursprungs. Ich liebe es mich flüssig in schroffem Terrain fortzubewegen, ob weglos, mit Kletterstellen gespickt oder einem guten Pfad folgend wie an den klassischen Normalwegen der bekannten Berge. Steinböcke, Gemsen, Ziegen. Sie bewegen sich so leichtfüssig, trittsicher, intuitiv und sicher im alpinen Umfeld, das imponiert mir und spornt mich an, es ihnen gleich zu tun. Mittlerweile bewege ich mich seit 20 Jahren im alpinen Gelände, ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten beherrsche ich zwar immer noch nicht so in Perfektion, aber ich spüre, dass ich mich intuitiv schnell und flüssig unter Beachtung der Dreipunktregel fortbewegen kann. Effizienz ist das Stichwort. Und diese mache ich mir bei meinen Speedversuchen zu nutzen. Mein Herz-Kreislaufsystem ist zwar ganz passabel trainiert, doch natürlich nicht auf Welteliteniveau eines Ausdauersportlers, der 2-4-stündige Wettkämpfe bestreitet. Dafür kommt hier beim Skyrunning und Speedbergsteigen dieser Effizienzfaktor ins Spiel, ganz zu schweigen von der Beherrschung der technischen Schwierigkeiten.

So geistert bereits seit langem die Idee im Kopf umher, den Hörnligrat so schnell wie möglich zu versuchen. Nicht als "Skyrun" von der Kirche in Zermatt weg, sondern rein von der Hörnlihütte bis zum Schweizer Gipfel, also nur im "technisch schwierigen" Abschnitt. Der Hörnligrat ist für mich der Inbegriff der alpinen Erfahrung im stetigen Höhersteigen mit Händen und Füssen. Keine schwierige Kletterei, sondern das Gespür walten lassen für den einfachsten Weg über 1200Hm im klassischen Kraxlterrain. Dazu diese Schönheit des Berges und der Linie. Eine Kingtour. Zumindest in meinen Augen. Dass die Verhältnisse allerdings so gut sind, dass der Berg für mich in meinen geliebten X-Talons möglich wird, ist nicht oft der Fall. Diesen Sommer allerdings schon. Und hier sind wir wieder beim Aussergewöhnlichen.

Am 10.08.22 durften wir, Hari und ich, jedenfalls von Idealverhältnissen am Matterhorn profitieren. Die Gipfelflanke mit nur leichter, verfestigter, aber nicht vereister Schneeauflage, der Rest der Route staubtrocken, dazu noch relativ wenige Bergsteiger am Berg (ca. 10 Seilschaften). Unsere Strategie war, vom Schwarzsee gemütlich und energiesparend zur Hörnlihütte aufzusteigen, uns dort umzuziehen und anschliessend zügig bis zum Schweizer Gipfel aufzusteigen. Ich voraus (weil ich den Weg am besten kannte), Hari bis zum Solvaybiwak hinter mir. Danach wird die Route eindeutiger und Hari überholte mich um für sich selbst eine passable Zeit aufzustellen. Mithalten konnte ich nicht mehr, dazu war die Luft bereits zu dünn und der Akku zu leer, doch richtig abschütteln liess ich mich natürlich auch nicht;-)

 

Meine Uhr stoppte jedenfalls nach 1h41'41'' (Hüttenterrasse Hörnlihütte bis Schweizer Gipfel), deutlich schneller als die letzten 2h04' vom 13.07.22, als ich alleine  vom Schwarzsee aufbrach, um mich mit der Route vertraut zu machen. Das letzte Mal am Hörnligrat lag einige Jahre (2017) zurück, damals war das Horu komplett schneefrei, wir benötigten noch nicht mal Steigeisen. Diesmal kamen wir um die Stahl-Crampons nicht drumherum. Womit wir schon wieder beim Thema aussergewöhnlich wären. Ein Aussergewöhnlich, was bei näherer Betrachtung gar nicht so aussergewöhnlich ist...

 

Für den Abstieg benötigten wir so lange wie für den Aufstieg, sogar etwas länger. Wie ich bereits ja schon in vorangegangenen Berichten immer wieder erwähnt habe, liegt mein Fokus nicht auf dem schnellen Downhill/Abstieg. Mir ist das Risiko für diese Spielart der Fortbewegung schlichtweg zu gross. Und trotzdem, um in 1h45' vom Gipfel bis zur Hörnlihüttenterrasse abzusteigen, bedarf es optimaler Routenkenntnisse (für verkofferten uns kein einziges Mal! Noch nicht mal für 10m!) und hundertprozentiger Konzentration. Diese aufrechtzuerhalten ist und bleibt die Crux am Matterhorn Hörnligrat. Meine Oberschenkel brannten jedenfalls, die Knie zogen und der Schädel brummte. 

 

Umso mehr geniesst man im Anschluss bei völliger Entspannung ein kühles Getränk und ein knuspriges Rösti mit Ei auf der Sonnenterrasse der Hörnlihütte und schaut dabei schwärmend auf den Grat zurück. Ein Versuch die Linie mit dem Auge auszumachen...fast ein Ding der Unmöglichkeit. Zu viele Strukturen, Türmchen, Rippen und Aufschwünge. Da hilft nur der Schummelzettel in der Speisekarte, wo die klingenden Elemente des Hörnligrats wie "faules Eck", "Gebiss", "Schulter", "Bohrlöcher", "Auf dem Grat", etc... fein säuberlich auf einem Übersichtsbild eingezeichnet sind ;-)

 

Facts:

Hörnligrat. Matterhorn

Zeit Aufstieg: 1h41'41'' (von Hüttenterrasse Hörnlihütte bis Schweizer Gipfel Matterhorn)

Zeit Abstieg: 1h48'33''

10.08.2022

 

mit Hari. Kein Seil. Kein Pickel. Dafür Helm, Stahl-Micro-Crampons, 0,75l Iso-Getränk, Primaloft und Windjacke, sowie dünne Handschuhe

Die Seilbahn Schwarzsee-Zermatt fährt bis 17:00Uhr.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0

Patricia Neuhauser

 

Sportwissenschafterin, MSc

Präsidentin Verein trail-maniacs

Online-Autorin SAC Tourenportal

Autorin Trailrunning Guidebook

 

Hondrichstrasse 17c

3703 Aeschi b. Spiez

Schweiz

 

info@patricia-neuhauser.ch

www.patricia-neuhauser.ch

+41 79 159 86 95

trail-maniacs.ch

Trailrunning Verein 

 

info@trail-maniacs.ch

 

#trailmaniacsch

#werockthetrails