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Couloirs, Pulver und Firn am Grossen St Bernard

Es ist Ostern. Vier Tage, davon drei Tage mit Sonnenschein, lassen Vorfreude aufkommen. Wir kennen die Region bereits vom letzten Jahr, die langen Couloirs am Mont Vélan sind immer einen Kurzurlaub wert und vielleicht entdecken wir noch andere Tourenziele? Und tatsächlich, aufgrund des schönen Neuschnees der Vortage zieht es uns magisch an Schattenhänge, anstatt auf die sonnenüberflutete Hemisphäre und Firn zu setzen. Doch der Reihe nach...

Mont Vélan / Couloir en Y

"Wir kamen, sahen und siegten" oder so ähnlich...

Jedenfalls erreichten wir den Einstieg des 600Hm langen Couloirs just zu dem Zeitpunkt, als sich ein einzelner Splitboarder parat machte für den langen Aufstieg. Ein brutales Unterfangen, wenn man alleine ist bei diesen winterlichen Neuschneeverhältnissen. Er war also sichtbar froh, dass wir motiviert voraus spurten. Noch konnten wir ja nicht wissen, dass auch uns zum Ende hin die Kraft ausgehen würde. Meist knietief, manchmal nur knöcheltief, an wenigen Passagen auch pickelhart oder mit einem mühsamen Harschdeckel überzogen, den man zuerst durchstossen musste, pflügten wir (Hari meist im Lead) die Rinne empor. Der Knick der Rinne auf halber Höhe ist relativ bald erreicht, doch was sich danach auftürmt, scheint unendlich. Denn es ist erst Halbzeit und die Energiespeicher leeren sich beträchtlich. Der Splitboarder hält sich uns mit gutem Abstand fern, er zeigt keinerlei Interesse die Spurarbeit zu übernehmen. Also kämpfen wir uns, nun öfters abwechselnd, vorwärts. Irgendwann habe ich den Kopf nur noch nach unten geneigt. Der Blick ist eingeschränkt auf die nächsten zwei Schritte. Die Kehle durstig, die Oberschenkel verdammt leer. Zu allem Übel steilt sich die Rinne zum Ende hin noch etwas auf und der Schnee wird pulvriger und damit tiefer. Wir müssen uns auf die Stöcke abstützen, das Knie in den Schnee rammen um einen Tritt zu präparieren. Erst dann schafft man es sich über die Stöcke hinauf zu stemmen und den vom Knie angedeuteten Tritt mit dem Fuss zu belasten. Präzisionsarbeit und grobe Wühlarbeit zugleich. Genau mein Ding. Am Ende schliesst auch der Splitboarder auf und bedankt sich tausendfach für die Spurarbeit. Ohne uns hätte er es heute nicht hierher geschafft auf die Scharte, welche nördlich der Aiguille du Vélan betreten wird. Es ist luftig auf der schmalen Scharte, Aussicht auf den Grand Combin. Den Gipfel der Aiguille lassen wir aus, das wäre nochmals ein Unterfangen, sieht nach nicht trivialer Kletterei aus...Lieber geniessen wir für ein paar Minuten das Prachtspanorama hinüber zum Mont Blanc und die frisch verschneite Bergwelt. Krafttanken für die kräftezehrende Abfahrt, denn wechselnde Schneequalitäten von Pulver, Harsch und Firn erfordern Konzentration und einige Jumpturns. Die Höhenluft trägt nicht gerade dazu bei, dass das Skifahren leichter wird. Trotzdem gehen sich einige Juchzer aus. Das Couloir en Y (branche gauche) als Erster in Pulververhältnissen zu befahren ist einfach traumhaft!

Pointe de Crête Sèche / Nordflanke

Wir sind sichtlich erschöpft vom gestrigen Couloirtag. Auch die zwei Stunden im Whirlpool liegen konnten die Strapazen des Vortags nur geringfügig mildern. Daher entscheiden wir uns für weitere Pulverschneeabfahrten, anstatt Firn zu suchen und zu riskieren, die Ski weit tragen zu müssen. Beim gestrigen Aufstieg zum Glacier de Pro fielen uns die makellosen und vor allem noch unversperrten Nordhänge zum Col de Moline auf. Hier wollten wir also heute unsere Linien in den Schnee zeichnen, im Aufstieg wie auch in der Abfahrt. Grosse Wechten am Kamm und felsdurchsetztes Gelände unterhalb liessen uns eine Spur mit Bedacht wählen. Es stellte sich aber schon bald heraus, dass der Schnee gut gesetzt war und sogar eine Abfahrt von oben möglich erschien, da ein Stück Wechte bereits herausgebrochen war und sich damit ein Durchschlupf für die Hänge unterhalb auftat.

 

Was soll ich sagen: Jackpot! Schaut euch die Bilder an. Einfach ein Traum durch diese unberührte Winterlandschaft im April zu spuren. Ein no-name Gipfel hat seine Vorzüge, man ist meistens alleine;-). Und ein wunderschöner Aussichtsberg zugleich. Man sieht nicht nur auf die Couloirs am Mont Vélan, man wird auch vom ganzen Mont Blanc Panorama verschlungen.

Le Petit Vélan / Couloir W

Nach der traumhaften Abfahrt von der Pointe du Crête Sèche gönnten wir uns eine ausgiebige Pause und überlegten, was zur fortgeschrittenen Zeit noch möglich erschien. Ein Abstecher zum Petit Vélan, die Temperaturen ja noch immer kalt, schien möglich. Im Bereich des Col de Pro ermöglicht ein Übergang in den Kessel unterhalb des Petit Vélan mit seinem Westcouloir zu kommen. Wir schlenderten indes einer Spur hinterher, die auf den Sattel auf ca. 2940m endete. Zum Glück konnte man dahinter die Ski easy zum Glacier de Pieudet hinunter tragen. Das breite Westcouloir, das oben in einen Trichter mündet, sah bereits recht zerpflügt aus. Dafür konnten wir von einer guten Spur profitieren. Nach gestrigem Spurtag waren wir definitiv nicht böse darum. Dass dann allerdings das eigentliche Westcouloir, das zum richtigen Gipfel und nicht zum Nordgipfel (3203m) führt, noch unverspurt war, liess unsere Motivation trotz müder Beine mächtig steigen. Wir statteten also dem Nordgipfel einen Besuch ab, der vom Panoramablick kaum zu übertrumpfen ist. Um dann, es war zum Glück wegen der Kälte noch nicht zu weich, Höhe zu halten und zum schmalen Westcouloir hinüber zu queren. Wow. Das fägt! Unversperrter, tiefer Pulver, eine gewisse Steilheit und Sonnenschein. Das glaubt uns doch niemand! Ein Gedicht!!! Unten folgen wir dann den Spuren über das wirkliche Col du Pro und geniessen einmal mehr noch pulvrige Hänge, bevor der Schnee nahtlos in Sulz übergeht.

Pointe du Drône Überschreitung

Nachdem der gestrige Tag doch wieder intensiver und länger ausgefallen ist, als ursprünglich angenommen, entschieden wir uns heute für eine "normale" Skitour. Sprich: 1000Hm. Sonniger und gemächlicher Aufstieg zum Hospiz am Gr. St. Bernard Pass und von dort steiler zur Grande Chenalette, von wo der Panoramalaufsteg hinüber zur Pointe du Drône beginnt. Eine überaus abwechslungsreiche Tour, auch wenn man lange recht flach zum Hospiz läuft. Wir krönen die Panoramarunde mit einer Abfahrt vom Gipfel über die steile Nordseite, wo sich noch ein paar Schwünge im unverspeurten Pulver ausgehen, bevor die Spuren unserer Vorgänger der letzten drei Tage Überhand nehmen und fast pistenartig zum Talgrund leiten. Wie immer nahtloser Übergang in feinen Sulz...

Infos

Als Unterkunft bietet sich das zwar alte, aber freundlich geführte Hotel Bivouac Napoleon in Bourg-Saint-Pierre an, das mit einem tollen Wellness und super Essen aufwartet. Wir wählten bereits letzte Ostern das Hotel als unseren Stützpunkt. Am Nachmittag nach der Tour lässt es sich mit vielen anderen Tourengehern auf der Sonnenterrasse gut aushalten bei einem Après-Bier und einer Assiette Valaisanne um den Tag Revue passieren zu lassen oder bereits Pläne für den nächsten Tag zu schmieden.

 

Sonne hat es zu dieser Jahreszeit ab 9:15Uhr am Parkplatz von Bourg-Saint-Bernard. Und nicht erschrecken ob der Massen am Parkplatz, die wenigsten interessieren sich für eine der Linien am Mont Vélan. Ausserdem ist das Gelände und Gebiet sehr weitläufig mit unterschiedlichsten Möglichkeiten und Schwierigkeiten. Beliebte Tourenziele sind Les Mont Telliers, Testa Grisa (mit der herrlichen Nordabfahrt) und Pointe de Drône. 

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Patricia Neuhauser

 

Sportwissenschafterin, MSc

Präsidentin Verein trail-maniacs

Online-Autorin SAC Tourenportal

Autorin Trailrunning Guidebook

 

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