bombenfester Kalk, Wasserrillen und Schnittwunden
Eine kurze Unachtsamkeit, einen Moment zu lange in die Luft geschaut und es ist vorbei. Nicht das Leben, nein, aber die Karriere als Modell. Hier in Paklenica darf man sich keinen Stolperer erlauben. Der Fels ist messerscharf und wasserzerfressen. Das Karstplateau, auf dem man am Gipfel des Anića Kuk aussteigt, ist durchzogen von kleinen und grossen Wasserrillen, kaum eine Felsstruktur ist ebenmässig, jeder Tritt will behutsam gesetzt werden, möchte man nicht blutüberströmt zum Wandfuss zurückkehren. Ich spreche aus Erfahrung...;-)
Doch beginnen wir der Reihe nach. Die Kletterrouten an der Anića Kuk blieben uns am Beginn der Kletterferien wegen des miesen Regenwetters verwehrt. Kleinere Brötchen mussten gebacken werden, welche aber nicht minder schön waren. Wie zum Beispiel am Debeli Kuk, wo wir noch am Nachmittag unseres Anreisetags in die "Diagonalka" einstiegen, um die letzten Sonnenstrahlen einzusaugen. Für die kommenden Tage waren sintflutartige Regenfälle prognostiziert, das kann ja heiter werden...Dass es meistens nicht so schlimm kommt, konnten wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen, doch 100% nass wurde es, das kann ich bereits vorab erwähnen. Wir durften also unsere Skills in triefend nassen Kletterrouten trainieren, durften die Goretex-Jacken auf Wetterfestigkeit überprüfen und den Gummi unserer ausgelatschten Trailrunningschuhe auf den Prüfstand bitten.
Gratkraxeleien im Vollschiff
Das prognostizierte Weltuntergangsszenario traf zum Glück nicht ein, doch Dauerregen war trotzdem angesagt. Wir konnten es uns nicht verkneifen loszuziehen. Und hat man erst einmal akzeptiert, dass man nass wird und nass bleibt, muss man sich um den Regen keine Gedanken mehr machen. 3 -2- 1-, raus aus dem Auto, rein in die Dauerdusche. Ohne Ausrüstung, im pursten aller Stile ziehen wir also los. Gleich hinter dem ersten Parkplatz beginnt ein hübscher Grat (Veliki Vitrenik) mit Passagen im dritten Schwierigkeitsgrad. Der Fels ist auch im nassen Zustand rauh und weist genügend Reibung auf, einzigst die Haut leidet erbärmlich. Wir geniessen jeden Meter Fels unter unseren Füssen, klettern, wo es uns beliebt, frei wie ein Gecko steigen wir höher und saugen die spezielle Atmosphäre ein. Natürlich sind wir heute völlig allein im Nationalpark Paklenica. Beim Eingang, wo man täglich ein Parkticket erwirbt und seinen 5-Tagespass scannen lässt, müssen wir nicht anstehen. Zurück beim Auto entscheiden wir uns für die nächsten Gratkraxeleien auf der gegenüberliegenden Schluchtseite, am Kuk Tisa und Kuk od Pašćetnice. Wir legen noch einen Schwierigkeitsgrad zu, griffige 4a Stellen würzen das Gesamterlebnis. Nach 3 Stunden im Vollschiff haben wir dann genug, bis auf die Unterhose völlig durchweicht, zwischen den Fingern bilden sich bereits Schwimmhäute, kehren wir zufrieden und mit strahlenden Augen zum Auto zurück. Es gibt kein schlechtes Wetter, nur die falsche Einstellung ;-)
Trailrunning Hausberge
Mali und veliki Vitrenek sind die Erhebungen gleich oberhalb unserer Unterkunft in Starigrad-Paklenica. Wir lassen es uns nicht nehmen einen Sonnenuntergangsrun zu machen, als die Regenwolken endlich ein paar Sonnenstrahlen Platz machen. So sieht es hier also aus. Sehr hübsch. Und ja, die Trails sind technisch, halsbrecherisch, wenn man unaufmerksam ist.
Stup - Domzalski
"Domzalski" und oben raus "brid za veliki čekić"
Das Stück Felsen, welches am schnellsten abtrocknet, ist zweifelsohne der plattige Rücken des Stup. Die Wetterprognose verspricht mehr oder weniger eine Regenpause, wir versuchen unser Glück an diesem Ort und werden reichlich beschenkt. Klar, die eine oder andere feuchte Passage gilt es zu meistern, doch wir haben ja geübt. Wie so oft gilt auch hier: nur weil 6a auf dem Papier steht, heisst es nicht, dass es ein Kinderspiel ist. Die plattige Kletterei ist fordernd, ich bin durchaus froh meinen normalen Kletterschuh gewählt zu haben und nicht den "Low-Performer". Nach den 4 Seillängen der Domzalski setzen wir unsere Kletterei über die klassische "brid za veliki čekić" fort, so kann man bis nach ganz oben klettern und vom Top die schöne Aussicht geniessen und wieder absteigen.
Vaganski Vrh - höchster Berg im Velebit
Die Wetterprognose für diesen Dienstag ist mal wieder desaströs: Dauerregen und starker Wind. Zum Glück sind wir multisportiv und haben nicht nur Klettern im Kopf. Warum also nicht den Nationalpark im Laufschritt erkunden, die Regenjacke einpacken und hoffen, dass es weniger heftig kommt? Gesagt, getan. Und als Optimist wurde ich belohnt. Wir durften sogar einen Blick bis aufs Meer vom Gipfel erhaschen, was sich im Nachhinein als Glücksfall darstellte, denn die restliche Zeit blieb er, trotz Sonnenscheins in der Umgebung, in dicke Wolken eingehüllt. Am Spruch "wer nicht wagt, der nicht gewinnt" ist definitiv etwas dran. Erwähnt sei, dass der Anstieg ab der Hütte ein ziemliches Brett ist. Steil, zuerst recht lange durch Wald, dann über ein Schotterfeld und schliesslich im Auf und Ab über Wiesen zum höchsten Punkt. Hier tobte der Wind und fegte uns fast vom kleinen Gipfelkreuz. Immerhin blieben wir trocken. Also Matic, ich schwitzte erbärmlich unter meiner Regenjacke im eigenen Saft und Aufguss, während die Hände fast erfroren. Willkommen in der Welt des weiblichen Paralleluniversums, das entweder immer viel zu heiss oder viel zu kalt ist;-)
Anića Kuk - die Trilogie
Velebitaški, Klin & Mosoraški. Drei charakteristische Routen, die zur grossen Trilogie an der Anića Kuk zählen. Wie üblich bei klassischen Routen ist mit viel Andrang zu rechnen. Durch unseren Volltreffer mit der Regenwoche in Paklenica durften wir die Routen allerdings mutterseelenallein geniessen. Ohne Stress, ohne Geschrei. Nur wir beide, das perfekt eingespielte Team und sagenhaft schöner Fels. Das gibt es vermutlich nur selten und im Nachhinein bin ich nun fast schon dankbar für das Regenwetter, was wohl die Masse an Kletterern abschreckte. Wir spulen also Seillänge um Seillänge der Velebitaška, lauschen dem Sound heraufkommend vom Bach im Talgrund, der aufgrund der Wassermassen (der Originalzustieg zur Anića Kuk war nicht möglich, weil man den Fluss nicht passieren konnte aufgrund der starken Strömung!) richtig tosend zu hören ist. Dazwischen Vogelgezwitscher und das Klimpern unserer Karabiner. Natürlich ist die Schlüsselseillänge wasserüberronnen, der Standplatz befindet sich fast in einem Wasserfall. Ich stürze mich zögerlich ins Abenteuer und schlutze nur knapp nicht aus der 6a+-Crux raus, puhhh, das war knapp. Auch die folgende Seillänge ist noch wasserüberronnen, dafür etwas einfacher. Matic darf mit ihr im Vorstieg Vorlieb nehmen und wie ich gewohnt von ihm bin, gekonnt empor tänzeln. Beim Auto zurück beginnt es zu regnen. Das Timing hat gestimmt...
Der kommende Tag verspricht Sonnenschein, Wind und endlich mal keinen Regen. Fast schon langweilig. Damit keine Langeweile aufkommt, beschliessen wir gleich beide Klassiker in Angriff zu nehmen: zuerst die Klin, im Anschluss die leichtere Mosoraški. Bereits die Auftaktplatten in der Klin fühlen sich keineswegs nach 4a an, Matic hängt zwei Seillängen zu einer zusammen. Mit unserem 70m Einfachseil sind wir so recht fix unterwegs. Meine 6a+ Seillänge unterschätze ich völlig, ein Quergang mit polierten Tritten, ich schmiere ab, greife in die rettende Express. Vorbei mit einer Onsight-Begehung. Die eigentliche Cruxseillänge hingegen schaffe ich auf Anhieb, ich hatte mich für die direkte Variante (6c) entschieden. So ist das nunmal, das Onsight war trotzdem vergeigt. Das beste kommt zum Schluss, eine 5c Seillänge an übergrossen Henkeln einer Rissschuppe entlang. Der Fels ist steil und unendlich griffig. Ich verschwende meine restliche Energie, weil es einfach Freude macht an diesen Felsstrukturen empor zu turnen. Hallenkletterfeeling. Ein Ausruf der Ungläubigkeit ob der genialen Felsstrukturen folgt dem nächsten. Ich bin im Kletterhimmel angelangt und vergesse, dass der Abstieg und eine weitere Route folgen werden. Erschöpft und ausgelaugt geniessen wir die obligatorischen Medjol-Datteln am Gipfel, das Wurstbrot füllt die Energiespeicher am Wandfuss auf, bevor der letzte Streich des Tages, die Mosoraški-Route folgt. Sie beginnt in der Nähe des grossen Karabiners und ist nicht zu verfehlen, immer dem Speck hinterher. Die Beliebtheit ist deutlich zu erkennen, wenn auch nicht sonderlich unangenehm. Die Cruxseillänge besteht aus einer breiten Riss-Verschneidung, natürlich etwas poliert, aber machbar.
Ein weiterer Abstieg von der Anića Kuk folgt, wir sind mittlerweile fast "Master" in der mit unzähligen roten Punkten markierten Abstiegsroute. Doch dann passierts, auf den letzten Metern vor dem rettend breiten Weg im Talgrund bricht mir ein Stein aus, ich rutsche aus und stütze mich mit den Händen und dem Ellbogen ab. Fazit: hässliche Abschürfungen, die so herrlich brennen und zwei Schnittwunden in der rechten Hand. Dieses Handicap hätte ich nicht unbedingt für den morgigen letzten Klettertag gebraucht...
Fotos aus der Velebitaški:
Fotos aus der Klin und Mosoraški:
Anića Kuk - Funkcija
Kaminklettern vom Feinsten. Nicht unbedingt elegant und irgendwie auch beklemmend, aber spassig ist es allemal, zumindest im Nachstieg. Und wenn man dem anderen beim Schrubben, Pressen, Klemmen und sonstigen abnormalen Bewegungen beobachten kann ;-). Die Funkcija-Route führt im unteren Teil leicht rechts der Mosoraški hoch, bevor ein exponierter und extrem pumpiger Quergang (6c+) nach rechts zur Kaminreihe führt. Matic liess mir den Vortritt für die Cruxlänge, da er sowieso bereits vor vielen Jahren auch diese Länge gepunktet hatte. Ich war gewarnt, dass es anstrengend werden würde und ich wurde nicht enttäuscht. Wer nicht seine Hände gekonnt im Riss verklemmen kann, wird es mühsam haben. Und so geschah mir. Ich flutschte aus dem Riss heraus und landete im Seil. Da ich bereits bis zu diesem Punkt massiv gekämpft hatte, waren meine Ärmchen doppelt so dick als gewöhnlich. Und auch eine längere Pause im Seil konnte meine Laktatarme nicht mehr lockern. Bereits bei der nächsten Cruxstelle lupfte es mich ein weiteres Mal aus der Seillänge. Mit Ach und Krach erreichte ich den Stand und durfte dort eine längere Auszeit und den souveränen Nachstieg von Matic geniessen.
Die oberen Seillängen sind schnell erzählt. Kompakte Kamine, folgen auf weitere Kamine, mal dünner, mal breiter, aber immer in 100%-Kamintechnik zu klettern. Und so musste ich ein weiteres Mal in die Schlinge greifen, weil ich mich zu sehr hatte verleiten lassen aus dem Kamin hinaus und an der luftigen Kante zu klettern. Doch so manövrierte ich mich in eine Sackgasse und musste mich geschlagen geben. Was Körpereinsatz heisst, konnte ich am Abend dann bestaunen: Matic's Rücken war eine einzige rote Fläche! Und die Knie auch. Nein, Kaminklettern wird nicht meine bevorzugte Spielwiese werden, doch so ab und an ein durchaus interessantes Unterfangen;-)
Mala Paklenica
Der kleine Bruder der grossen Paklenica-Schlucht ist die mala Paklenica, ein Kleinod, das noch von Wildheit geprägt ist. Der markierte Weg führt grossteils im Bachbett entlang, wo immer wieder ausgewaschene Blöcke zu erklimmen sind und nasse Füsse keine Seltenheit sind. Besonders im hinteren Teil heisst es Springen von Block zu Block, wenn man die Schlucht nicht gerade nach einer langen Trockenperiode besucht. Wir mussten bis zum letzten Tag unserer Ferien warten, um nicht schwimmenderweise die Schlucht zu erleben. Sehr empfehlenswert als abwechslungsreiche Runde (17Km) mit dem Abstieg in die grosse Paklenica Schlucht und zum Haupteingang raus, von wo ein, grossteils über Gravel führender Weg, zum Eingang der Mali Paklenica zurückführt.
sonstige Infos:
- Ausgangspunkt ist Starigrad-Paklenica, wo es unzählige Apartments, Camping, B&B, sowie Restaurants, Supermärkte, Kletterladen, Bankomat... gibt. Wir hatten uns für folgende, sehr empfehlenswerte Unterkunft entschieden: Apartment Danijel (auf booking) von Milan Milovac (mila.milovac@gmail.com), mit schönem Meerblick und sehr modern und komfortabel ausgestattet (Küche, 2 Schlafzimmer mit jeweils eigenem Bad).
- Für den Nationalpark ist Eintritt zu zahlen, es gibt Tageseintritte, 3-Tages und 5-Tagespässe, zusätzlich kostet das Parkieren 1,30€
- Seit 2023 haben die Kroaten den Euro eingeführt
- Der Kletterführer für Paklenica ist 2022 neu aufgelegt worden
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