Diese fabelhaft weisse Wand aus Eis und Schnee sticht mir jeden Morgen beim Erwachen ins Auge, meine Augen kleben förmlich daran, scannen die Flanke auf schimmerndes Eis und jähe Spalten, die sich auftun, ab. Es vergeht eine Saison nach der anderen. Dann verliere ich den Mut, als ich im Spätsommer bei Blankeis vom Gipfel hinab schaue: gähnende Leere, saugende Tiefe. Nein, das ist mir eine Nummer zu gross, hier mit Ski jemals abfahren zu können, dafür langt mein Niveau nicht. Ich vertage meinen Traum.
Heute brechen wir um 5:00Uhr bei Tagesanbruch beim Bundläger auf, ich hoffe auf gute Verhältnisse, zumindest für einen Fussaufstieg, entscheide mich aber doch die Ski fürs steile Terrain mitzunehmen, um mir ein Hintertürchen offen zu halten. Der Schnee ist griffig-pulvrig in der Wand. Eis? Fehlanzeige. Und wir dürfen erst noch von der guten Trittspur unserer Vorgänger profitieren, sieben weitere Personen verfolgen heute das gleiche Ziel: eine Skibefahrung der Blüemlisalphorn Nordwand.
Am Gipfelkreuz, das fast vollständig unterm Schnee begraben ist, montieren wir die Ski, es geht los. Die ersten Schwünge sind immer die heikelsten, Selbstvertrauen fassen, fokussiert sein, aber nicht zu angespannt sein. Mir steht die Anspannung trotzdem ins Gesicht geschrieben, erst nach der Traverse löst sie sich in pure Freude auf. Im unteren Wanddrittel kann ich es endlich krachen lassen. Ich juchze, triumphiere. Nach dem Bergschrund ein Blick zurück: unbeschreiblich, was ich dort sehe. Endorphinausschüttung. Die Zeit bleibt stehen. Das war jetzt der ultimative Wahnsinn!
Über den glatt wie eine frisch präparierte Piste sich anfühlenden Gletscher rasen wir hinunter. Nach den steilen Sachen, fühlt man sich, als ob die Ski fest mit dem Körper verwachsen wären. Als ob man niemals mit Füssen an den langen Extremitäten, dafür mit langen Latten geboren worden wäre. Die Kanten schneiden in die leicht aufgefirnte Schneeoberfläche, es zischt, das Spielen mit den Fliehkräften fegt. Liegt nur noch das Hohtürli vor uns und dessen langer Nordosthang, der bereits um 10Uhr am Morgen weich, oder besser flüssig, wie zu warme Butter ist. Survival-Skiing ist angesagt, immerhin bis zum Auto ohne Skitragen;-)
Ab jetzt schaue ich jeden Tag mit einem etwas anderen Blick auf diese Wand. Erfreue mich an ihr umso mehr. Ein Erlebnis mehr rund um unsere Balkonberge:-)
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