Eine gehörige Portion Glück, das gehört zum Bergsteigen einfach dazu. Wer dieses Restrisiko nicht akzeptieren kann oder will, widmet sich ehrlicherweise besser anderen Disziplinen wie Minigolfen. Nicht falsch verstehen, ich liebe Minigolf (ihr solltet mich mal dabei sehen, welchen Ehrgeiz ich da entwickeln kann;-)). Weil ich auch nicht Opfer der Statistik werden möchte und generell lieber über den Dingen stehe, als mich in ein episches Abenteuer zu manövrieren, begnügen wir uns für gewöhnlich mit Touren, die weit unter unserem Niveau liegen, sich dafür dann aber aus dem Tal realisieren lassen bzw. mit der "fast'n'light"-Ausrüstung mit vertretbarem Risiko und viel Genuss durchführbar sind. Doch ab und an braucht es schlichtweg die Herausforderung, ein Aufbruch ins Ungewisse, eine Tour, die etwas mehr fordert als schiere Ausdauerleistung, sondern den ganzen Alpinisten, das ganze Erfahrungsspektrum.
Die Lauper Route am Mönch ist so eine Tour, die sich eher am oberen Ende meiner Wohlfühlskala bewegt, zumindest in nicht idealen Verhältnissen, um nicht von miserablen Verhältnissen zu sprechen, so wie wir sie angetroffen haben. Es war zu erwarten, dass die Saison für Firntouren sich bereits dem Ende zuneigt. Unsere schnellen Begehungen am Mönch über die Nollen-Route 10 und 7 Tage zuvor erfolgten noch bei Optimalbedingungen, doch mit der andauernden Hitzewelle verfloss der Schnee schneller als gedacht. Übrig blieb am Mönch ein Steinwüstenmeer, brüchig, steinschlägig, am Rande der Risikotoleranzskala, aber zumindest im gelben Bereich.
Die Nacht war klar, die Abstrahlung gut, auch wenn die Nullgradgrenze auf über 4000m war. Mit dem Erfahrungsschatz aus diesem Winter im Gepäck (Winterbergsteigen an den Hausbergen, Eisklettern in Kandersteg, regelmässig Klettern/Bouldern) und einem soliden Ausdauerniveau, strebten wir an, die Route als Tagestour ab der Station Eigergletscher anzugehen. Den Aufstieg zum Mönchsplateau kannten wir ja bereits und wussten, wie viel Zeit wir dafür kalkulieren müssten und wie viel Zeit uns für die Lauper Route inklusive Abstieg vom Mönch zum Jungfraujoch übrig bleiben würde. Sollte sich ausgehen, pressieren nicht nötig. Dass ein kleines Missgeschick dann doch den Zeitplan fast über den Haufen geworfen hätte, davon möchte ich euch im Folgenden berichten:
Wie schon erwähnt, wir waren in dieser Saison einfach 10 Tage zu spät dran. Der Abstieg ins Eigergletscherbassin zwar noch gut machbar, aber bereits recht weich und im oberen Teil ausgeapert. Der Anstieg über diese finstere, nasse Mauer um auf den steilen Firn zu gelangen, dann bereits spannend. Absichern lässt sich hier nichts, wir klettern demnach seilfrei und behutsam dem Weg des geringsten Widerstands folgend, zum Glück war nichts vereist, eher Canyoning-like. Anzumerken sei hier noch, dass dieser Gletscherkessel unter der Nordwand des Mönch etwas bedrückendes hat. Zuvor folgt man Steinmännchen in 5m Abständen zum Mönchsplateau hinauf, hier aber hat man die Alpinautobahn bereits längst verlassen und ist auf sich alleine gestellt. Schlagartig beginnt das Abenteuer. Das Firnfeld undramatisch, kein Eis, kein Bergschrund, allerdings im oberen Teil mit vielen Steinchen übersäht...kein gutes Zeichen. Die erste Knacknuss folgt: um auf das Band zu gelangen, welches zum vereisten Riss leitet, müssen wir äusserst brüchige, mit einer Eisglasur überzogene Felsen überwinden. Absicherung? Nunja, ein windiger 0.3er Cam zwischen zwei brüchigen Felsen muss genügen. Wir versuchen es zuerst an einer Stelle, entscheiden uns aber beide intuitiv für eine andere Variante, zum Glück mit Erfolg. Nach langem Probieren (hier gab es einfach keine Marge für Error! Es hätte einen Seilschaftsabsturz bedeutet!) wälzte ich mich kontrolliert über diese senkrechte Felsbarriere (M4/M5?) und konnte gute 10m danach in solidem Eis eine Eisschraube drehen, bevor das teilweise schon ausgeaperte Band uns zum vereisten Riss brachte. Bei guten Verhältnissen (also gut eingeschneit) sollten hier noch keine gröberen Schwierigkeiten auftauchen.
Dieser dann verhältnismässig "einfach" und mit drei Haken versehen. Einfach daher, weil er abgeklettert und grossgriffig ist, Eisüberzug hin oder her. Und ja, die Haken erwecken zumindest für die Psyche einen soliden Eindruck, im Gegensatz zu dem windigen 0.3er Cam von davor. Eine weitere Eisschraube findet ihren Einsatz und nach gut 30m ist ein solider Stand an einem guten Haken unter dem Schulterstanddach erreicht. Wir realisieren zunächst gar nicht, dass wir dieses bereits erreicht haben. Es kommt uns einfach nicht in den Sinn, dass ein ausladendes Dach in 2m Höhe über unseren Köpfen besagte, originelle Schulterstand-Stelle sein sollte. Warum? Weil wir keine Trittschlingen herabhängen sahen!!! Erst nachdem wir auf dem grossen Block die ganzen Steigeisenkratzerspuren ausmachten, schoss es uns schlagartig in den Sinn: die Trittschlingen fehlen!
Hari's erster Gedanke: "shit, wir sitzen fest!" Ich streckte mich nach oben und konnte mit Ach und Krach einen guten Griff in der Dachkante erreichen und sah, dass besagte Trittschlingen munter oberhalb der Dachkante liegen, wir sie aber nicht ohne weiteres so leicht erreichen können. Also, Steigeisen aus, Schulterstand! Im Original! Ich legte meinen Rucksack ab, Hari beugte sich, ich stellte mich sachte mit einem Fuss auf seinen Oberschenkel, zog an einem Griff an der Dachkante an, verkeilte mein Eisgerät in einer der Reepschnüre, zog wieder an, stellte den zweiten Fuss auf seinen Rücken, blockierte mehr oder weniger einarmig das Eisgerät um die Trittschlingen zu erhaschen und runterzuwerfen. Endlich! Fuss hinein, ich baumel freihängend, Hari kann aufatmen, ein wilder Ruck und ich hiefe mich über die Dachkante. Geschafft. Stand. Den Rucksack ziehe ich nach und Hari hinterher. Wir stehen in der Sonne, der Weiterweg sieht allerdings wenig einladend aus: eine Wüste aus Platten mit losem Schotter und brüchigem Gestein, vorm Firn ist hier kaum noch etwas übrig. Übel!
Und dann passierts: Ich verkeile ein Eisgerät hinter einem grossen Block und ziehe sanft an, der Block bricht raus, mir auf den Oberschenkel/das Knie, ich mache einen Hopser nach hinten, lande zum Glück mit einem Fuss in einer Art Randkluft und bleibe stecken, nur mein Eisgerät macht das Weite. Eine Schrecksekunde später, voller Adrenalin, Hari sprintet zu mir, ich versichere ihm, dass alles ok ist. Erst als ich mein Bein aus dem Loch ziehe, bemerke ich, dass die Hose voller Blut ist und auch ein Finger taub und die Haut in Fetzen wegsteht. Auftreten kann ich, wenn auch schmerzhaft, besonders in Beugung. Ein kurzes in mich gehen, wie fühlt es sich an, welche Möglichkeiten haben wir? Zum Glück entdeckt Hari nur wenige Meter unterhalb mein verloren gegangenes Eisgerät und holt es rasch.
Hier offenbart sich die ganze Dimension der Ernsthaftigkeit dieser Route. Es gibt nur zwei Optionen: weitermachen und zwar nach oben oder den Heli rufen. Nachdem die Hauptschwierigkeiten ja hinter uns liegen sollten, entscheiden wir uns fürs Fortsetzen der Route. Langsam, wirklich langsam, taste ich mich Schritt für Schritt vorwärts. Wenn ich nicht stehenbleibe und das Bein nicht abwinkel, geht es einigermassen. Wir wechseln einmal mehr auf Steigeisen, finden noch etwas Firn und Eis, bevor wir einmal mehr die Füsse ein weiteres mal von den Steigeisen befreien und entlang der Gneisrippe in wechselnder Gneisqualität empor steigen. Schliesslich sehen wir eine Möglichkeit über Firnreste in die Rinne rechts der Gneisrippe zu queren und hoffen, dass uns diese im Firn bis nach oben zum Grat bringen wird. Hari voraus, er spurt, ich ziehe mein Bein hinterher.
So langsam wird mir bewusst, dass es mit der Jungfraubahn noch knapp werden könnte. Tränen kullern über meine Wangen. Es schmerzt. Irgendwann erreichen wir den Firngrat, ich breche in Tränen aus, die Anspannung fällt von mir, das Adrenalin verlässt meinen Körper. Mir tut alles höllisch weh als ich realisiere, dass ich es geschafft habe dieser Wand zu entkommen. Kennt ihr den Film "Sturz ins Leere/Touching The Void"? So in etwa (ok, nicht ganz so krass ;-)) fühlte ich mich die ganze Zeit. Ich zog meinen Haxn hinterher, ich wusste, ich muss da jetzt durch und es zu Ende bringen. Erst beim Jungfraujoch würde ich aufhören können.
Am Gipfel des Mönch, die Wolken rissen gerade einmal wieder auf, dann ein kurzer Moment des Ohnmächtigwerdens, ein Heulkrampf überkam mich. Ich bin oben! Nur noch der Abstieg, den ich wie meine Westentasche kenne. Er zog sich und wurde zur Tortur, denn bergab ging noch schlechter ohne das linke Bein zu beugen, als bergauf. Aber auch dies managten wir und Hari trug mir schliesslich auf der fetten Piste zum Jungfraujoch gentleman-like den Rucksack. Die letzte Bahn erreichten wir mit 30 Minuten Vorsprung, völlig zerstört nach 9:30h nach Aufbruch vom Eigergletscher.
Die Hose traute ich mich erst beim Auto abzuziehen, ich vermutete ein riesiges rotes Massaker darunter, denn ich spürte konstant, dass Blut über das Schienbein floss. Mit einer Pizza im Magen als Abschluss der abenteuerlichen Tour, verbrachte ich den Abend dann auf der Notaufnahme in Frutigen. Wunden spülen, röntgen lassen, verbinden. Ich bin mit einer Muskelprellung, einem dicken Knie und leichten Blessuren davon gekommen. Das Glück war auf meiner Seite. Diese Geschichte hätte durchaus ganz anders ausgehen können...
Infos zur Route und zur Absicherung
Mönch, Nordwandrippe (auch Lauperroute genannt), SS / 4c oder M4
Erstbegehung durch Hans Lauper und Max Liniger, 23. Juli 1921
- Idealverhältnisse herrschen, wenn die Route noch gut verfirnt ist. Wenn bereits die Firnauflage im Abstieg in den Gletscherkessel fehlt und nach dem Schulterstanddach die Flanke ausgeapert ist, wird es schnell heikel (ein einzigster Geschirrladen!!!). Von Vorteil auch, wenn das Band selbst, sowie der Zustieg zum Band verfirnt sind.
- Die beiden markanten Passagen, vereister Riss und Schulterstanddach, sind mit Haken versehen. Auch findet man oben auf der Gneisrippe mal einen Fixfriend und einen Haken. Ansonsten muss für Absicherung selbst gesorgt werden, was aber durchaus problematisch sein kann. Am ehesten mit eigenen Haken? Für die Passage, um auf das Band zu gelangen, war ein 0.3er Cam nützlich, ausserdem konnte ich zweimal eine Eisschraube auf dem Band verwenden, sowie einen 1.0-er-Cam und eine Schlinge um einen Block. Über dem Schulterstanddach gibt es zwei solide Haken als Stand. Wir sind im Prinzip alles seilfrei gegangen bis auf den Abschnitt, wo das Band beginnt, bis einschliesslich zum Stand über dem Schulterstanddach.
- Im Bereich vom Band (vereister Riss) ist der Fels für gewöhnlich mit Wassereis überzogen, auch bei uns, obwohl wir einen Tag mit Nullgradgrenze auf 4200m hatten
- Ehrlich gesagt, lag für mich die Schwierigkeit der Tour mehr im Management der Ernsthaftigkeit (Rückzug schwierig bis unmöglich, Absicherung prekär, grossteils seilfrei, Steinschlag, typisch abschüssige Eigerfelsplatten mit Wassereisüberzug, sehr viel loser Fels und brüchiges Gestein,...), als in den reinen Kletterschwierigkeiten. Der vereiste Riss fühlte sich trotz Steigeisen fast sportklettermässig an, nachdem ich zuvor den senkrechten Bruchhaufen ohne solide Sicherung überwunden hatte. Und das Schulterstanddach ist kraftig, aber prinzipiell gut machbar. Ausser: was macht ein Solokletterer, bei dem die Trittschlingen (so wie bei uns) nicht runterhängen?!? Ich möchte den ungesicherten Mantle in Bergschuhen und mit Rucksack über dem Abgrund gerne sehen...#boldornottobe
-startet man wie wir von der Station Eigergletscher (erste Bahn 7:15Uhr Grindelwald, Terminal), hat es den Vorteil, dass man nicht auf der Hütte nächtigen muss und somit einen "leichten" Rucksack mitträgt. Allerdings kann man dann nicht vor 7:35Uhr am Eigergletscher weggehen und hat 2200Hm vor sich! Die letzte Bahn verlässt das Jungfraujoch um 17:52Uhr zu dieser Jahreszeit. Der Abstieg vom Mönch geht in der Regel zu jeder Tageszeit, darf aber auch nicht unterschätzt werden. Doch für gewöhnlich wird man eine dicke Autobahn antreffen, zumal man die Lauper vermutlich im Juni macht, wo die Chancen auf Firn am besten stehen. Und im Juni ist der Mönch Normalweg meist noch gut eingeschneit und nicht blank, so dass er zackig von statten geht.
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