Gleich vorab, wir haben es an diesem Tag tatsächlich nur bis in die Wandhälfte geschafft. Nach 4 Seillängen war der Ofen aus oder noch treffender: der Saft leer. Vier Seillängen, davon die erste Seillänge mit 6a bewertet, bleiben eigentlich nur noch 3 Seillängen übrig, welche wir uns hochgekämpft haben. Eine Tagesleistung, die Zweifel aufkommen lässt: was zum Geier treibt die Beiden in die Wand und in genau diese Route, die ihnen ja offensichtlich viel zu schwierig ist? Eine angemessene Frage, doch schliesslich eine Frage der Erwartungen und der damit verbundenen Haltung. Warum nicht einfach einmal schnuppern? Eben ohne Erwartungshaltung, treu nach dem Motto "thinkbig".
Bons Baisers und Marque Jaune kenne ich bereits, Michael quasi den Rest der Wand. Da uns das Herbstwetter wohl gesonnen und die Haut seit der Begehung der Bons Baisers wieder nachgewachsen ist, beschliessen wir die härteste Route der uns familiär gewordenen Rote Fluh in Augenschein zu nehmen. Soweit es uns "gluschtet", soweit uns unsere Ärmchen hinaufziehen würden.
Den alpin-herben Auftakt verleibe ich mir ein, der Fels überzeugt noch nicht restlos. Wir sehen es als Zustieg, schliesslich wollen wir zu der fetten Wand darüber, die steil und mächtig empor ragt. Ein breites Band lässt mich einen gemütlichen Standplatz beziehen, von dem fast klettergartenmässig die nächste Seillänge, mit 7b+ bewertet, wegzieht. Ein ziemliches Ausdauerbrett mit einem fulminanten Abschluss, geile Seillänge, ich staune nicht schlecht im Nachstieg, was hier an Klettermoves gefordert wird. Würde sich diese Länge mit weniger Aufwand erreichen lassen, es wäre mein Projekt. Der Zustieg hat sich schon bezahlt gemacht für diese eine Seillänge! Die folgende 7a+ Seillänge geht an mich. Ein technisches Geschwür, kurz und knackig, ohne Fussarbeit läuft hier nichts. Ich muss passen, traue mich nicht eine seichte Delle über und seitlich vom letzten Bolt zu belasten. Mit Hakenhilfe mogle ich mich darüber, der Ausstieg erfordert dann nochmals beherztes Wegsteigen vom letzten Bolt, bevor ein weiteres Schuttband nach rechts zum nächsten Stand führt. Die 7b Länge schaut sich Michael aus nächster Nähe an, sie ist abermals steil und athletisch, die Felsqualität aber etwas weniger highend.
Ich folge nur mit Mühe und falle fast in Tiefschlaf, als ich Michael am unbequemen Stand erreiche. Meine Arme sind schwer wie Blei und ziehen gen Tal, die Zehen schmerzen, die Fingerkuppen durchgeklettert. Spass will sich beim Anblick der fünften Seillänge, die abermals mit 7b+ laut Topo bewertet ist, nicht einstellen. Wir entscheiden uns für den Rückzug. Bis hierhin war es cool in unbekanntes Terrain zu steigen, über sich hinauszuwachsen, schwierige Stellen mit reichlich Luft unterm Hintern zu bewältigen. Die nächste Länge gleicht einer grifflosen Raufasertapete, etwas zu viel Tapete für unseren Geschmack. Und um ehrlich zu sein, die Zeit lief uns auch davon. Oktobertage sind nicht besonders lange Helligkeit bekannt;-)
Fazit: Ich vermute, dass die Route nicht an die Qualität der Bons Baisers ran kommt, aber wage auch nicht zu urteilen. Wir haben etwas weniger als die Hälfte der Seillängen der gesamten Route gesehen, wovon die erste 7b+ Seillänge überragend war, die restlichen guter Durchschnitt. Mit etwas mehr Klettervermögen würde ich aber durchaus nochmals einsteigen wollen. Die Absicherung empfand ich eine Spur weniger dramatisch als in der Bons Baisers und die Felsqualität wechselhafter, von splittrig bis eisenfest, die Schärfe ist aber auch in dieser Route kennzeichnend.
Filidor Extrem West (2010): Piola/Anker 1993, l'espion qui venait du froid, 7b+ (6c+ obl.), 220m/9SL
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