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Fromberghore Nordwand Direttissima

Prolog

Hirngespinste wachsen zu vagen Vorstellungen und gewinnen schliesslich als Ideen an Substanz, bevor sie filmreif an Fahrt aufnehmen und sich als Drang manifestieren, in die Tat am Tag X umgesetzt zu werden. Das Träumen wird zur Wirklichkeit. Meine Hausberge Nordwand Edition ist so ein Hirngespinst, das im Winter 2023 geboren wurde. Hausberge unter einer neuen Perspektive zu erleben, erfüllt mich mit tiefster Zufriedenheit. Du schaust sie einfach ganz anders an, wenn du sie mit einem Ziel, mit einer Idee, aus dem Blickwinkel eines starken Wunsches betrachtest. Und erst recht, wenn das Träumen in Erfüllung gegangen ist und der Berg von nun an mit Emotionen und Erlebnissen assoziiert wird.

 

Nach der Morgenberghorn Nordwand folgte die Niesen Nordwand und nun noch die Fromberghore Nordwand. Die Spiezer Nordwand Trilogie ist entstanden, wobei zur Morgenberghorn Nordwand bereits frühere Winterbegehungen überliefert sind. Zur Niesen und Fromberghore Nordwand konnte ich keine Informationen finden, was aber nicht heisst, dass wir unbedingt die Ersten sind. Diese Linien sind so offensichtlich, dass Einheimische sie zu Trainingszwecken sicherlich in früheren Zeiten schon einmal gemacht haben müssen! Aber publiziert fand ich nichts, so dass ich mir gestatte, einige Informationen zu den Routen auf meinem Blog zu veröffentlichen. Es wäre schade, wenn die Routen nicht einem breiteren Publikum zugänglich gemacht würden. Sind sie doch für Normalsterbliche bei guten Bedingungen machbar!

 

Vielleicht liegt es auch daran, dass neue Linien zu entdecken, den Blick dafür zu entwickeln, sie zu beobachten, zu recherchieren, sie zu erkunden, nicht im Fokus eines "Amateur-Wannabe-Bergsteigers" stehen. I.d.R. ist es den Profis vorbehalten, neue Linie zu kreieren, die dann Einzug in die Führerliteratur erhalten. Die leichteren, klassischen Linien sind für gewöhnlich bereits begangen. Begangen in alten Pionierzeiten. Doch eben nicht an den Bergen, die weder Ruhm noch Prestige bedeuten. Hausberge eben. Berge, die international betrachtet auf dem Radar komplett einexistent sind, selbst national völlig bedeutungslos erscheinen. Die Bedeutung bekommen sie erst durch Geschichten, die Einheimische ihnen zuschreiben. Auf lokaler Ebene, eventuell sogar nur auf lokaler Szenen-Ebene.

 

Lüften wir also das Geheimnis der Fromberghore Nordwand:

Erkundungstour

So präsentiert sich die Seitenansicht der Fromberghore Nordseite. Auf einen Blick ist klar, dass der weniger steilere, obere Teil gut machbar aussieht. Doch was ist mit diesem steilen Felsriegel, der mit Eis und Schnee überzogen ist? Hat es Eis? Wie dick ist das Eis? Ist es mit dem Fels verbunden? Die Direttissima soll hinter dem tiefsten Punkt, also hinter dem Felssporn starten, der am weitesten nach unten in den Schnee reicht. Meine Erkundungstour lieferte uns also nicht wirklich viel mehr News, als sie vom Auto aus in Burgholz bereits ersichtlich waren. Dort erhascht man nämlich einen guten Blick auf die gesamte Nordwand.

 

Anstatt die lange Traverse im tiefen Schnee zum Fuss der Flanke anzugehen, entschied ich mich kurzerhand dazu, dass Geheimnis vorerst noch nicht zu lüften und stattdessen ein NW-Gully zu P.2291 anzusteuern, dass parallel zum Fadegrad Couli in der Westwand des Fromberghore verläuft. Hübsche kleine Eisstufen in maximal 60 Grad Steilheit wechseln hier mit Schneestapfen und etwas Grasmuttenklettern im Ausstieg ab. Bei einer Länge von 250Hm eine schöne Halbtagsbeschäftigung mit bequemem Abstieg durchs Fadegrad-Couloir.

Die Direttissima Route

Wir rücken mit der "heavy duty"- Ausrüstung an, Hammer/Haken/Schrauben/Keile/Cams, um aus dem Vollen schöpfen zu können, falls es nötig wäre. Beim Zustieg scherzen wir noch, dass wir gleich die "green hell" betreten würden. Green hell deshalb, weil ein Google Earth Detail Ausschnitt von der Wand, der mir Matic am Vortag zeigt, nichts als dunkelgrüne, zerfurchte Rinnen und ein grosses schwarzes Loch abbildet. Genau diese schwarze Materie, das schwarze Loch, ist aber das Geheimnis der Wand, welches wir heute lüften wollen. Wir biegen also um diesen Sporn am tiefsten Punkt der Flanke ein, die Spannung steigt. Und dann bleiben unsere Münder offen stehen: "krass, das sieht steil aus"! Ein dunkler, gebänderter Felsriegel tut sich auf mit zwei steilen Eislinien, wobei die rechte flacher wirkt als die linke. Je näher wir kommen, desto eindeutiger wird die Konsistenz dieses gefrorenen Weiss. Es handelt sich weniger um Eis, denn um gefrorenen Schnee. "Steep Frozen" kommt mir in den Sinn und lässt mich nicht mehr los. Noch mehrfach werden wir über diesen steilen, halbgefrorenen Schnee lachen, der uns das Leben schwer macht. Denn hier lässt sich nichts absichern und die Eisgeräte rutschen einfach nur durch. 

 

Nach dem obligatorischen Spiel, wer denn nun die Führung übernimmt, ist es an Matic, als Erster in das Halbgefrorene einzusteigen. Er kämpft sich tapfer Meter um Meter nach oben, während wir unterhalb an unserem improvisierten Stand blödeln. Uns ist kalt, wir frieren. Und immer, wenn man friert, gefriert auch das Gehirn und lässt einen wie blöd Singen. Derweil gräbt Matic fast den ganzen Steilhang um, um irgendwo unter der Schneedecke Eis zu finden, das seinen Eisgeräten und Steigeisen Halt bieten würde. Ein zweier Cam bietet schliesslich Beruhigung für die Nerven. Als wir endlich nachsteigen wird uns klar, warum Matic so lange brauchte. Dieser Kaltstart war deftig herb. Die Crux der ganzen Route auf den ersten Metern! Denn im Anschluss kann man sich gekonnt der flachsten Linie nach über Rampen hinauf mogeln. Hari und ich, die eigentlichen Nachsteiger, übernehmen nun den Doppelvorstieg. Das Gelände ist einfach und so steigen wir gleichzeitig empor. Ungewöhnlich, aber zeitsparend;-) Besonders kurios ist dann die Situation in der letzten Seillänge bevor man das leichte Schneecouloir erreicht, als Matic nachsteigt und von Hari und mir jeweils an einem Strick per Hand, wie in einem Ausgleich, nachgesichert wird. Wir müssen lauthals lachen. Ungewohnte Sicherungsmethoden für ungewöhnliche Situationen...

Wir packen das Seil weg, gönnen uns eine Verschnaufpause und füllen die Energiespeicher auf. Was folgt, ist pures Ausdauergebolze, Schneestapfen, mal im Gefrorenen, mal tiefer einbrechend. Eine Stufe umgehen wir links über eine Schneerampe mit anschliessendem Grasmutten-Mixed-Terrain, bevor wir unseren Weg zunächst auf einer Rippe haltend, dann wieder rechts davon im Couloir fortsetzen. Die 600 Wandhöhenmeter machen sich so langsam bemerkbar, die Zeit rieselt dahin, wie auch unser Energielevel. Am Schluss kämpfe ich mich, immer steiler werdend, durch tiefen Schnee mit einigen Felsblöcken garniert. Ein letztes Drüberwuchten und ich falle fast in das Gipfelkreuz hinein. Wenn das mal keine Direttissima ist! Es tut so gut die wärmenden Sonnenstrahlen auf der Haut zu spüren. Warmes Licht empfängt uns hier oben, es ist bereits fortgeschrittener Nachmittag bzw. 15:00Uhr. Doch wir gönnen uns noch einen Gipfelbucheintrag und saugen die Atmosphäre ein. Der Blick hinüber zum Dreigestirn und den hohen Berner Alpen Bergen ist immer wieder aufs Neue ein erhabener Moment.

 

Für den Abstieg heisst es "konzentrieren!" Wir wählen für den Abstieg das Fadegrad Couloir, welches über den Grat zwar gut, aber mit ein paar Balance- und Reitersitzpassagen zu erreichen ist. Im Couloir selbst geht der Abstieg dann zügig von statten. Fast wie auf dem Mond laufe ich mit grossen Schritten Richtung Tal. Bruchharsch, der die Schienbeine so schön aufschürft, erwartet uns weiter unten. Doch er kann unserer Euphorie nichts mehr entgegen setzen. Wir haben es geschafft, sogar noch vor Anbruch der Dunkelheit das Auto zu erreichen. Stirnlampen hätten wir eh nicht gehabt, beziehungsweise nur solche Notfunseln...

Hundsmüde, aber erfüllt. Erfüllt mit einem schönen Erlebnis im Team, wo jeder etwas zum Gelingen beitragen konnte. Der Vorteil zu Dritt liegt klar auf der Hand: die Männer dürfen das Material schleppen, die Frau ist für die Idee und den Impuls da;-) Klare Rollenverteilung. Danke meine Lieben für den besonderen Tag.

Infos

Fromberghore Nordwand, 600m

  • Schwierigkeit? Verhältnisabhängig! Der steilste Abschnitt zu Beginn hat ca. 70Grad. Die restlichen "Eis"- bzw. "steep frozen" Schneestufen bis 60°. Grossteil 45° im Schnee. Kurze Passagen an Grasmutten.
  • Absicherung? Kurze und mittellange Eisschrauben machen sich am besten bezahlt für den gefrorenen Schnee/Eis, Cams/Keile können kaum untergebracht werden. Besser mit Eisschrauben arbeiten. Clean Route. 
  • Zustieg? Kann bei viel und lockerem Schnee noch mühsam werden. Besser eine Periode abwarten mit Harschdeckel oder gut verfestigtem Schnee
  • Abstieg? Am bequemsten über das Fadegrad Couloir (45°)

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Patricia Neuhauser

 

Sportwissenschafterin, MSc

Präsidentin Verein trail-maniacs

Online-Autorin SAC Tourenportal

Autorin Trailrunning Guidebook

 

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