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Stockenfluh: Tonic

 

Gin und Tonic, was nach einem guten Drink tönt, entpuppt sich als ausgezeichnete Sportkletterei an einer wenig frequentierten Wandflucht im Schatten des weitaus bekannteren Stockhorns. Dabei liegen die Qualitäten der Stockenfluh klar auf der Hand: wenig Höhenmeter im Zustieg, südseitige Exposition und Qualitätskalk. Dazu ein wunderschöner Ausblick, angefangen mit meinem Wohnort Aeschi und dem Thunersee, weiter auf die Niesenkette, die Diemtigtaler Berge und gar bis hinüber zu den Gastlosen. Dass die Wand eher gegliedert und auch die Routen dementsprechend kurze Gehpassagen aufweisen, stört kaum. Vielmehr passt es zu der umgebenden lieblichen Landschaft und friedlichen Atmosphäre.

 

Es ist noch früh am Morgen, Nebel umwabert die Gipfelregionen während der Talboden bereits wärmende Sonnenstrahlen abbekommt. Wir zögern daher die Türen zu öffnen, als am Parkplatz (taxpflichtige Strasse, 10CHF am Automat zu entrichten (auch mit TWINT) das Thermometer 5,5°C anzeigt. Es ist Mitte Juni, doch der Sommer lässt seit Wochen auf sich warten. Mit der Hoffnung, dass sich die Wolken an der Stockenfluh noch verziehen, schlürfen wir los, eingepackt in dicke Pullis. Ab der Alp Vorderstocken verlassen wir die Strasse und queren über die noch feuchte Bergwiese in Richtung Stockenfluh, vorbei an einem Hüttchen und in den Wald hinein. Man muss schon genau wissen, wo der Steig im Wald beginnt, Markierungen oder Steinmann Fehlanzeige. Am besten leicht unterhalb der Hütte den Wald ansteuern, dann finden sich Wegspuren. Im oftmals abschüssigen Gelände hält man sich immer knapp am Wandfuss entlang, bis ein kurzes Fixseil über eine Felsstufe und eine schmale Passage zu den Einstiegen von Gin (die erste Route) und Tonic (etwas unterhalb) führt.

 

Es ist richtig kalt. Feucht-kalt. "Gruuusig". In 5 Schichten gehüllt, wie ein Michelinmännchen, macht sich Michael an die erste Seillänge. Gleich zu Beginn mit kalten, gefühllosen Fingern muss man kräftig an kleinen Leisten ziehen. Doch die Felsqualität begeistert schon auf diesen ersten Metern, wenn auch der ein oder andere Grasbüschel aus den Felsritzen herausschaut. Kompakter, geschlossener Kalk, der mit Wasserrillen, Sanduhren, grossen Taschen und kleinen Käntchen das Kletterherz höher schlagen lässt. Die zweite Seillänge, eine super technische 7a, beginnt mit scharfen, kleinen Strukturen und geht dann in plattige Balanceakrobatik über. Genial, wer die Strukturen richtig liesst! Ich fand mich nicht nur einmal in Kletterbewegungen wieder, die ich so nur aus der Boulderhalle kenne: mit Stützbewegungen wie auf einem grossen Volumen oder Schiebbewegungen auf einem Fuss balancierend und nur mit dem Daumen in einer Delle Halt findend den Körper über den Körperschwerpunkt manövrierend. Geil! Zum Schluss galt es noch ein feuchtes Loch zu blockieren, die Füsse mehr schlecht als recht, bevor der rettende Henkel mein Onsight besiegelte. Der Stand befindet sich an einem Baum nahe der Kante, etwas bequemer lässt es sich von einem hinteren Baum nachsichern, wo leicht mit einer langen Schlinge selbst Stand bezogen werden kann.

 

Die dritte Seillänge startet in einer schattigen, feuchten Ecke. Ein mächtiges Teil, das einen obligatorischen Boulder parat hält. Mitunter die physichste Stelle der ganzen Route. Körpergrösse und Spannweite helfen, alle anderen müssen kreativ werden und dynamisieren. Nach mehreren Anläufen im Nachstieg hatte ich meine Lösung mit einem Heelhook parat, grenzwertig, aber machbar. Michael durchstieg diese Seillänge, die auch zum Schluss nochmals einen pumpigen Abwerfer bietet, mit Bravour. Drei 7b Seillängen in Folge fordern ihren Tribut. Bei der zweiten 7b musste ich kapitulieren und zwei Passagen A0 klettern. Selbst mit längerem Tüfteln ging mir der Knopf nicht auf. Zum Glück hängt ein Stück Seil in einem Bolt, so dass man sich über die glatte Stelle hinweg mogeln kann. Und auch die erste, knifflige Passage, wo ich zum Haken greifen musste, ist bestens abgesichert. 

 

Die dritte 7b-Länge, das Prachtstück der ganzen Route, erfordert auf 45m keine ultraharten Cruxmoves wie in der ersten 7b, aber solides Steigen und Vertrauen in die Fussarbeit, sowie einen grossen Erfahrungsschatz im Lesen der Felsstrukturen. Für Techniker ein neverending Leckerbissen, der mindestens 18 Express erfordert! Ein geniales Teil, in dem man nie die Nerven wegschmeissen und die Hoffnung in die Reibung nie aufgeben sollte! Noch immer ungläubig ob meiner vollbrachten Leistung diese Seillänge im Flash-Nachstiegsmodus durchstiegen zu haben, werfen wir die Seile aus und seilen unkompliziert und zügig über die Route im schönsten Nachmittagslicht ab. Was eine Tour! Hammermässige Seillängen und dies mit Blick auf zu Hause. Es war ein eiskaltes Vergnügen, doch um ehrlich zu sein, bedarf es vermutlich genau dieser Bedingungen, um auf den vielen Reibungspassagen brillieren zu können. Bei 10 Grad mehr hätte der Gummi vielfach geschmiert und die Haut wäre vermutlich ziemlich schnell durchgeklettert gewesen...

 

Die benachbarte Gin sieht ebenfalls vielversprechend aus, ein nächstes Kletterziel ist somit schon gesetzt.

Topo auf rebolting. Stockenfluh, "Tonic", 7b, 5 SL (6c,7a,7b,7b,7b). Weitere Informationen zur Stockenfluh auch im SAC Führer Berner Alpen Nord

 

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Patricia Neuhauser

 

Sportwissenschafterin, MSc

Präsidentin Verein trail-maniacs

Online-Autorin SAC Tourenportal

Autorin Trailrunning Guidebook

 

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