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Eiger Genferpfeiler: Adam & Evi

Immer, wenn ich den Weg zum Jungfraujoch wähle, schwebe ich zunächst in der komfortablen V-Bahn zum Eigergletscher hinauf. Während die nette Stimme und das Marketingvideo der Jungfraubahnen die meist ausländischen Gäste auf die Alpingeschichte der Eiger Nordwand hinweist, bleiben meine Blicke stets an der steilen und bläulich-grauen Wand im rechten Wandteil kleben: dem Genferpfeiler. Traumrouten wie die "deep blue sea" geistern dann in meinem Kopf herum und ich frage mich insgeheim, ob es beim Träumen bleiben wird oder ob ich jemals mein Kletterniveau so anheben kann, dass ich den Anforderungen der Route gewachsen bin?

 

Auch heute fixieren meine noch verschlafenen Augen den Genferpfeiler, wobei sie an den Felsstrukturen im rechten Teil kleben bleiben. Dort liegt nämlich das alpine Sportkletterobjekt der Begierde versteckt, die 9 Seillängen Route Adam & Evi aus dem Jahre 2018. Es ist bereits ungewöhnlich heiss, als wir die Station Eigergletscher verlassen. Kurze Hosen hätten wir uns gewunschen, eigentlich unglaublich in dieser Höhe auf 2300m auf der schattigen Westseite! Doch für die Routen am Genferpfeiler kann es eigentlich kaum zu warm sein, dachten wir. Falsch gedacht, wie sich später offenbaren sollte. Schwitzen am Eiger, ist das die Zukunft oder eine ungewöhnliche Konstellation der Wetterlage? Jedenfalls erreichen wir nach gut 1 h schweissgebadet das Rucksackdepot, welches die unteren 4 Seillängen von den oberen 5 Seillängen trennt und im Prinzip die Halbzeit der Route markiert, wo die Akkus nochmals nachgeladen und die warme Kleidung zurückgelassen werden kann. Ich frage mich insgeheim, ob ich statt einem zweiten Pulli nicht besser einen halben Liter mehr Getränk hätte einpacken sollen.

 

Zuerst wandert aber noch alles an Kleidung, die es in den Tiefen der Haulbags zu finden gibt, an unsere Körper. "Nur nicht auskühlen" ist die Devise, immerhin muss zuerst 3x über die Freaconomics abgeseilt werden, dabei bewegt man sich bekanntlich recht wenig. Ob der steilen Abseilerei kann der Ruhepuls aber durchaus ein paar Schläge über das übliche Mass hinausschiessen und für Wärme sorgen;-). Auf dem Schuttband angelangt sind es nur wenige Meter zum Start der Route, welche angeschrieben und mit einer kleinen Schlinge gekennzeichnet ist. Die erste Länge startet sodann deftig mit einer 7a, das Gelände leicht geneigt, die Bolts nicht gerade üppig, wenn auch ausreichend und gut platziert. Ich dränge mich unserem eingespielten Team nicht auf, den Vorstieg zu übernehmen. Rein gefühlsmässig bewegen sich meine Gedanken eher im Nachstiegsmodus und das Sortieren meiner Gefühle und Emotionen will ich mit dem Nachsteigen der ersten Seillänge abgeschlossen haben. Schon noch beeindruckend hier unten. Ein düster, schummriges Gefühl überschattet meine Magengrube. Ich muss mich anfreunden lernen mit dem Gedanken hier am Eiger zu klettern. Natürlich nicht in der Hauptwand und nur an einem Trabanten ganz am westlichen Ausläufer. Und doch wartet auf uns Eigerfels, an den wir Hand anlegen möchten. Und: nach dem Abseilen gibt es keinen Weg zurück als den nach oben, zumindest bis zum Rucksackdepot!

 

 

Da Michael die unteren Längen der Route bereits kennt und damals als Seilerster eingestiegen ist, liebäugelt er mit der zweiten und vierten Länge im Vorstieg. Somit lag es an mir den Auftakt zu machen. Abrupt musste ich also mein Mindset auf Angriffsmodus umpolen. Das scharfe Ende des Seils lässt am Eiger keine Spirenzchen zu, voller Fokus und Commitment sind gefragt. Bereits auf den ersten Metern zeigte sich, Obacht ist angesagt und die alpine Spürnase darf festen von weniger festem Gestein erschnuppern. Die Schüppchen und Leistchen teilweise fragil, steige ich überlegt den grauen Panzer nach oben. Bei der Crux genehmige ich mir kurz den Bolt als Tritt, Sicherheit geht vor Eitelkeit (oder so ähnlich ;-)). Danach löst sich die Kletterei wieder prima auf. Erst auf Höhe des letzten Bolts zögere ich erneut, die Griffe muten etwas instabil an und ich befinde mich doch schon recht über und vor allem rechts neben dem letzten Bohrhaken. Ein weiter Move, ich greife auf eine grosse Leiste und schwupps, sehe ich mich mit ihr bereits in der Luft. Der Fall dauert gefühlt eine Ewigkeit und während ich an mehreren Bolts vorbeisegel und auf den harten Aufprall vorbereite, berühre ich nur mehrmals kurz und leicht die Wand. Der weite Pendelsturz endet in einer sanften Erfahrung. Michael hat den unkontrollierten Sturz meinerseits perfekt gesichert, ohne bleibenden Nachgang, so dass ich ziemlich schnell wieder auf Höhe meines spektakulären Abgangs weitermachen und die Seillänge vollenden konnte. Was ein nervenaufreibender Auftakt!

 

Die Felsstruktur wechselt, es wird ab nun an steiler und athletischer, genau unser Ding und somit verlaufen die folgenden zwei Seillängen flüssig und ohne weitere Zwischenfälle. Zeitweise präsentiert sich der Fels sogar richtig wasserzerfressen und scharf in unterschiedlichsten Farbtönen, dann aber auch wieder eigertypisch mit eher brüchigen Passagen. Die vierte Seillänge, bevor es zum Rucksackdepot geht, erinnert an Dolomitenrouten in kompaktem, grauen Lochkalk, gar nicht so trivial, wie es der Schwierigkeitsgrad vermuten liesse! Das war jetzt schon mal echt genial! Und bis auf meinen Sturz lief es wie am Schnürchen, wir liegen sogar voll in unserem Zeitbudget und gönnen uns daher eine ausgiebige Rast, bevor wir in den oberen Pfeiler starten. Mittlerweile sind wir sogar in der Sonne angekommen und lassen den Kleiderhaufen beim Depot zurück. Dafür wandert noch eine zusätzliche Flasche Zuckergetränk in den Rucksack, den man, bis auf die letzte 6a Länge, unbesorgt nachziehen kann ob der Steilheit der ganzen Route.

 

Mit geladenen Akkus steigen wir nun in den oberen Abschnitt ein, wobei die erste Seillänge ultra athletisch rechts auf die Kante hinauszieht. Eine krasse Seillänge, die Michael souverän im Onsight meistert. Zwischendrin erinnert der Fels gar an südländische Gefilde mit Brokkoli-Strukturen. Fantastisch. Beim Start heisst es sorgsam sein, der Fels sieht nicht nur brüchig aus, er ist es auch. Die Kletterei ist aber sehr gut gesichert, voller Angriff! Danach liegt es wieder an mir, Progress zu machen. Eine technische Rissverschneidung, die schwierig nach rechts zu verlassen ist, stellt mich auf die Probe. Kaum ums Eck gestiegen, bin ich auf mich alleine gestellt und aus dem Sichtfeld meines Seilpartners. Der Fels von mässiger Güte und die Abstände eher sportlich. In Summe wahrscheinlich die am wenigsten ansprechende und alpinste Seillänge (warum hab ich eigentlich immer diese alpinen Seillängen?!? War das Kalkül, Michael?;-)) Links von uns vergnügen sich unterdessen zwei Burschen im Kamin der Freaconomics. Von meinem Adlerhorststand kann ich sie perfekt beobachten.

 

Es ist Nachmittag. Die Sonne erobert erbarmungslos die Westseite des Eigers und brennt auf unsere Köpfe. Klettern im T-Shirt, wär hätte das gedacht? Die dritte Seillänge am oberen Pfeiler erfordert technisches Geschiebe entlang einer Rippe in kompaktem Fels, bevor eine unangenehm abgesicherte Crux mit seichten Löchern über einen Wulst ehrenhaft bewältigt werden möchte. Ich fand diese Stelle sogar im Nachstieg knüppelhart und eher 6c+ als 6c. Bis hier hin konnten wir, abgesehen von der allerersten Seillänge mit meinem Fauxpas, sämtliche Längen im besten aller Stile klettern. Für die Verteilung der Seillängen für den Vor- und Nachsteiger hatten wir also ein gutes, glückliches Händchen. Die Glückssträhne riss nun aber bei der vorletzten Seillänge ab. Ich hatte keinen Strom mehr und gab den Vorstieg an Michael ab, der wiederrum mit einem Griffausbruch die Seillänge in die Luft setzte. Ein brachialer Boulder (den ich nur mit Hakenziehen aus dem Stand heraus im Nachstieg bewältigen konnte) mit anschliessend abnehmender Felsqualität, man muss jedoch mit ziemlicher Gewalt an den Griffen ziehen, lässt ziemlich viele Schweissperlen auf der Stirn erscheinen. Physis und Psyche werden da ein letztes Mal auf die Probe gestellt. Danach wird es entspannter und die letzte Seillänge in typischer Eigermanier zwar brüchig, aber gut zu managen, wenn man die Strukturen mit Vorsicht behandelt und besser drückend und schiebend als ziehen und reissend klettert. Wir steigen schliesslich zufrieden und geplättet auf das geröllige Plateau im schönsten Spätnachmittagslicht aus. 

 

Wow! Das war grossartig und eine empfehlenswerte Route, die uns zwar forderte, aber genau in der richtigen Dosis! Eine Route in einem grandiosen Ambiente und an einem Setting, das seinesgleichen sucht. Habe ich schon die Basejumper erwähnt, denen man bei ihrem Sprung vom Magic Mushroom eindrücklich zusehen kann? Krasse Typen! So ein Flug dauert dann doch geringfügig länger, als mein Sturz in der ersten Seillänge;-) hahaha.

 

Eiger, Genferpfeiler; "Adam & Evi". 7a+ (6b+ obl.), 9 SL, 320m; M. Dettling et al (2018)

Gut zu wissen: alle Informationen zur Route aus Erstbegeherhand findest du auf Marcels Blog: https://mdettling.blogspot.com/2018/08/eiger-nordwand-adam-evi-7a-10-sl.html

 

 

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Patricia Neuhauser

 

Sportwissenschaftlerin, MSc

Präsidentin Verein trail-maniacs

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