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Sanetsch: Sergio

Dieses Dach. Einschüchternd, mächtig, gewaltig. Hier überhaupt eine gangbare Linie zu finden, grenzt schon an einen gewissen Kletterfanatismus. Und die Kletterjünger kommen, nicht in Scharen, aber sie kommen. Ich stand schon einmal im Sommer 2023 unter diesem ausladenden Dach. Damals war die Route besetzt. Der Nachsteiger mühte sich unterhalb der Dachkante ab während die Seile in der Luft flatterten. Wie viele Meter diese Seillänge überhängt? Ist noch schwierig abzuschätzen, doch ich hab in meiner ganzen "Kletterkarriere" noch nicht einmal annähernd eine Seillänge in dieser Kategorie angetastet. Das Bild, die Szene des kämpfenden Nachsteigers, brannte sich in meinem Gedächtnis fest. Ich musste wiederkommen, ich wollte auch Luft unter den Sohlen spüren. Ich wollte ebenfalls kämpfen und mir ins Hemd machen vor Ausgesetztheit und Exposition. Die Vorstellung, im Falle eines Sturzes (ob Vor- oder Nachstieg spielt hier keine Rolle), im luftleeren Raum zu baumeln, erweckt Abschreckung Attraktion zugleich bei mir. 

 

Nun stehen wir also bei bedecktem Himmel Anfang September vor diesem Monsterdach. Michael soll den Auftakt machen. Ich wünsche es so. Es soll ein Geschenk sein, ein Geschenk für jemanden, der Dächer liebt und beste Voraussetzungen nach diesem wunderbaren Klettersommer mitbringt, um einen ernsthaften Onsight-Versuch zu starten. Ein Kampf , ein komplettes Body-Workout, besser als jedes Fitnessstudio, diese Länge fordert Geist und Körper. Unglaubliche Griffstrukturen, auch wenn sie brüchig anmuten, 3D-Klettern. Nur nicht nach unten schauen, aufs Klettern fokussieren und die Intuition walten lassen. Schnelle Entscheidungsfindung, die Uhr tickt. Nachchalken, Überblick verschaffen, der Pump wird stärker, nur nicht irritieren lassen. Welches ist die beste Lösung? Sie ist nicht offensichtlich, die Dachkante zu überwinden stellt mich vor eine gröbere Herausforderung. Ich entscheide mich für einen kühnen Zangengriff, der mich direkt zum rettenden Henkel leiten soll. Totale Anspannung, Pressatmung und dann macht es "Plopp". Nein, nicht das Ringband, der Fels zerbröselt unter meinen Fingern. Die Zange kommt mir während meines Abgangs entgegen. Immerhin, ich hatte keine Zeit über meinen Sturz ins Leere nachzudenken, erst als mich das Seil sanft auffängt, realisiere ich meine Position: mitten im Amphitheater, unter der Dachkante, im Nichts!

 

Wie konnte Michael nur so elegant über diese Dachkante klettern? Und vor allem, wie konnte er sage und schreibe 10 Minuten (ich habe die Uhr neben mir liegen gehabt) an der Position davor rasten?!? Unglaublich! Bei mir tickte die Uhr gehörig, 3 - 2 - 1, Entscheidung fällig. Im zweiten Anlauf dann funktioniert meine Lösung, die Zange nun noch schlechter als vorher, presse ich mich zum Ausstiegsgriff. Die folgende Länge ein Traum in Steil. Grossgriffige Kletterei an fantastischen Griffen, sofern man ihnen trauen lernt. Denn hier beginnt das Übel der Felsqualität in dieser Route. Die Kletterei ist über grosse Strecken toll, aber der Fels erinnert an Konglomerat, so ganz trauen, tun wir ihm nicht. Die dritte Seillänge dann zeigt gleicht auf den ersten Metern auf, wo der Hase läuft. Sackschwer und brüchig. Zwar gut gesichert, aber trotzdem scary. Wir A0-en. Danach bessert sich die Felsqualität und es fängt wieder an Spass zu machen. Sogar schöne Tropflochpassagen und der typisch für den Sanetsch so schön wasserzerfressene Fels folgen. In der vorletzten Seillänge eine unangenehm gesicherte, sehr obligatorische Cruxpassage, wo eine abdrängende, seichte Verschneidung gemeistert werden will. In der letzten Seillänge sind wir zweigeteilter Meinung. Der Konglomeratfels mit grossen Blöcken sieht schon wirklich wenig stabil und fragil aus. Ich entscheide mich trotzdem einzusteigen, mich erinnert die Kletterei an so manche Seillängen in südlicheren Gefilden und da hielten die Blöcke durchaus gut zusammen. Trotzdem lasse ich Sorgfalt walten, ob ein Abgang von einem Bolt in diesem fragilen Fels gehalten werden würde? Ich will es nicht testen. Nach der Hälfte der Kletterei wechselt der Fels schlagartig. Traumkalk kommt zum Vorschein. Eisenfest. Die Versöhnung.

 

Fazit: Das Dach ist der Brüller, und auch die zweite Länge rockt! Ob man sich den Rest im grossteils eher brüchigen Fels antut für die letzten hübschen 20m? Das muss jeder für sich selbst entscheiden...

Sergio: 7a+ (6b obl.), 7SL, 220m. Jean-Marie Porcellana, Grégoire Tièche (2020)

 

 

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Patricia Neuhauser

 

Sportwissenschafterin, MSc

Präsidentin Verein trail-maniacs

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