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Niesen Nordost-Wand: Zentralcouloir 3.0 bzw. Haris Speedversuch

Dieser Winter ist anders als die vorausgegangenen. Irgendwie länger anhaltend kalt, mit langen Phasen der Trockenheit und nur kurzen Wetterkapriolen und Wärmeeinbrüchen. Oft dachte ich mir "jetzt ist bestimmt der letzte Tag der Saison, wo der Niesen noch geht!", als ich mal wieder mit dem Fernglas auf der Couch weilte und jedes Detail der Flanke in Augenschein nahm. Falsch gedacht. Nach dem Neujahrsauftakt durch die Nordostwand mit ihrem markanten Zentralcouloir, sollte schon bald der zweite Streich folgen, aber der Reihe nach...

Der Spurtrupp

Ob ich es mir zutraue 1700Hm alleine zu spuren? Diese Frage konnte ich in diesem Moment nur mit "JA", "ich kann" beantworten. Sie kam von Hari und was blieb mir anderes übrig, als all meine Kräfte zu mobilisieren um ihm seinen Traum, seinen Wunsch, seine Vision zu ermöglichen? Alle Lampen schienen für diesen einen Moment grün zu leuchten: Verhältnisse, Wetter, Temperatur, Motivation, Leistungsfähigkeit, Fähigkeiten und Zeit. Das konnte ich doch nicht leichtfertig aufs Spiel setzen und die Frage mit "NEIN" beantworten, was das Aus des Projekts bedeutet hätte. Die Dimension 1700Hm im tiefen Schnee alleine zu spuren, verdrängte ich lieber. Vielleicht liesse sich ja doch noch ein Joker aus dem Ärmel schütteln...

 

Und siehe da. Der Joker kam. Ganz unverhofft. Zuerst meldete sich Mike, sein Kletterpartner fällt aus, er sucht eine Alternative für den strahlend blauen Tag. Ein Dienstag, mitten in der Arbeitswoche und dazu ist es bereits Montag Abend. Nicht leicht Ersatz zu finden. Doch den brauchte es eh nicht, die Niesenroute durch das Zentralcouloir in der zerklüfteten Nordostseite weckte seine Abenteuergelüste etwas Neues zu probieren. Der Niesen ist auch sein Hausberg, nur von der Wimmis Seite her und stand schon lange auf seiner Liste. Zwei Fliegen mit einer Klatsche, perfekt. Nein, noch ein Bonus kommt hinzu. Mike ist ein Urviech, so wie Hari. Die Spurarbeit würden wir zusammen also mit Leichtigkeit meistern.

 

Wie der Zufall so will, gesellte sich noch eine weitere Fliege unter unsere Klatsche, die uns völlig unverhofft das Leben als Spurtrupp erleichterte. Bereits als wir zur Alp hinauf gingen, nahmen wir frische Spuren wahr. Von gestern, mindestens, eher von heute. Die Neugier wuchs, ob sie denn bei der Alp enden würden? Nein, sie führten kompromisslos direkt ins Couloir. Volltreffer. Da war also bereits ein Team am Werk, deren Fussabdrücke wir nur noch verfeinern, ausbauen und manchmal etwas begradigen mussten, um die perfekte Autobahn für Höchstleitungen anzulegen. Ein Leichtes für Mike und mich. Wir durften uns also vollends auf den eigenen Rhythmus, den eigenen Flow, die Freude am Tun selbst konzentrieren, anstatt zu schnaufen, zu schwitzen und nach Luft zu ringen. Fantastisch. Alle Zeichen standen also auch bei uns auf positiv um ein Traumtag der Superlative zu werden.

 

Der Speedbergsteiger

Geduldig wartet er auf den perfekten Moment, während er durch das Spektiv seinen Spurtrupp für die Idealstandardspur anzulegen beobachtet, die ihn in Kürze zum Gipfel des Glücks befördern soll. Akribisch wurde den Eisgeräten am Vorabend der perfekte Schliff verabreicht, die ohnehin minimale Ausrüstung ein weiteres mal durchgegangen. Softflasks mit viel Technologie als Inhalt, blitzblanke Schuhe und ein Outfit, das zu Höchstleistungen motiviert. Er scharrt in den Startlöchern, als das GO vom Spurtrupp erfolgt. Die Maschine läuft, der Terminator prescht über die Autobahn bei Idealbedingungen. Hurtig und mit pantherhafter Agilität meistert er die einzelnen Steilstufen im Eis und Gras, bis er nach sagenhaften 1:59 die Gipfelplattform des Niesen betritt. Das Herz pocht, die Atmung am Anschlag, Speichel rinnt aus den Mundwinkeln, doch aus dem verzerrten Gesicht leuchten uns zwei ungläubige Glubscher entgegen: die 2h-Marke geknackt! Die Freude ist zum überschäumen, seine Augen funkeln, unsere ebenso. Teamwork auf den Punkt gebracht!🙏🏻

 

Danke @mikebaumgartner für die Begleitung und den wundervollen, gemeinsamen Spurteamtag. Gratuliere Hari zu deiner gelungenen Tempojagd am Hausberg. Und Danke @nicolashojac und @nicolaheiniger für eure vorausgegangene Spurarbeit, so konnte der Spurtrupp Mike/Patricia eine ruhige Kugel schieben😅🦥 

 

Verhältnisse sind Trumpf

Verhältnisse, wie an diesem Dienstag, sind wohl selten. Die Hauptschwierigkeiten fehlten schlichtweg. Kein steileres Eis, kein prekärer crushed-ice-Schnee, in dem die Eisgeräte durchrutschen. Die Grasmutten gefroren, aber angenehm soft. In diesen Verhältnissen müssen die zu bewältigenden Schwierigkeiten im Verhältnis zu unseren vorangegangenen Begehungen etwas herabgestuft werden. Ich hätte jetzt keinen der Aufschwünge steiler als 60Grad im Durchschnitt eingeschätzt. 

 

Weitere Infos zum Niesen Zentralcouloir finden sich in den beiden vorangegangenen Blogberichten:

https://www.patricia-neuhauser.ch/2025/01/01/niesen-nordostflanke-zentralcouloir-2-0/

https://www.patricia-neuhauser.ch/2023/01/31/niesen-winterbergsteigen-durch-die-nordostseite-niesencoulis/

und zur eislastigeren Stei Chenelgrabe Route:

https://www.patricia-neuhauser.ch/2023/02/09/winterbergsteigen-in-der-niesen-nordostflanke-steinchenelgraben/

 

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Patricia Neuhauser

 

Sportwissenschafterin, MSc

Präsidentin Verein trail-maniacs

Online-Autorin SAC Tourenportal

Autorin Trailrunning Guidebook

 

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