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Eisklettern am Oeschinensee

Erkundungstag

Klirrende Kälte überzieht in Bodennähe den schneebedeckten Oeschinensee, als ich mit meinen Tourenski vom Berggasthaus hinunter rutsche. Noch ist es schattig und düster, die Sonne schafft es um diese Jahreszeit erst später am Tag über den hohen Bergkamm des Blüemlisalpmassivs. Dafür herrscht eine unglaubliche Atmosphäre. Einige Eisfischer sind bereits am werkeln und belagern ihre Löcher. Keine Luftbewegung, nur Stille und eine Kälte, die in die Glieder kriecht, sobald man sich nicht mehr bewegt. Dabei gibt es so vieles zu sehen, so vieles zu bestaunen, so dass ich nicht anders kann, als den Feldstecher immer wieder zu zücken oder die Kamera auszupacken, auch wenn die Finger danach taub und gefühllos sind. Wie ein Eskimo eingepackt ziehe ich also meine Bahnen im hinteren Kessel des Öeschinensees, dort, wo die Fründenschnur die senkrechten Felswände zerteilt und die 2000m hohe Flanke zum Blüemlisalphorn empor steigt. In diesem Eck spielt die Musik für Eiskletterer. Eingeschnittene Canyons gefüllt mit Eisschläuchen und Zapfen, die von den Felswänden herabhängen. Ich bin ganz entzückt ob der Möglichkeiten hier. Nicht nur die bekannten Linien aus dem Eiskletterführer wecken mein Interesse, auch andere Schönheiten treten zu Tage, je nachdem, aus welcher Perspektive man diesen hinteren Seekessel begutachtet. Eine grosse Spielwiese breitet sich da also vor meinen Füssen aus und ich bin froh, meine Eisgeräte und Steigeisen für die Tourenskischuhe eingepackt zu haben. Somit lässt es sich zumindest ein wenig pickeln und die Möglichkeiten erforschen.

 

Je näher ich dem Januarloch kam, umso eindrücklicher und majestätischer präsentierte es sich mir. Die erste Seillänge ist verdeckt und erst im letzten Moment offenbart sich die ganze Pracht bis zum Loch hinauf. Ein durchgängig steiler Eisfall mit einer delikaten zweiten Seillänge bei den jetzigen Konditionen. Doch meine Begierde wuchs und es sollte nur 1 Tag vergehen, bis ich ins Abenteuer Januarloch aufbrechen sollte...

Januarloch

Ich wollte dieses Naturjuwel beklettern, das stand fest. Doch wer mich besser kennt weiss auch, dass ich seit Anbeginn auf Kriegsfuss stehe mit dem Vorstieg im steilen Eis bzw. beim Toolen. Klassische Topropepussy, das scharfe Ende des Seils reichte ich in diesen Disziplinen liebend gerne weiter. Doch mittlerweile weiss ich auch, worauf diese Unsicherheit begründete. Meine Ausrüstung fürs steile Eis war bisher immer suboptimal, wackelnde Steigeisen taugen genauso wenig, wie stumpfe Eisgeräte. Seit diesem Winter bin ich stolze Besitzerin von einem Paar Nomics mit scharfen Pur'Ice Hauen und bissigen Dart Steigeisen. Und das Wichtigste, auf meine Unterarmausdauer ist Verlass. Seitdem ich wieder regelmässig klettere und auf einen intensiven Kletterherbst zurückblicken darf, ist Pump an Henkeln fast ein Fremdwort geworden.

 

2025 ist damit das Jahr des Durchbruchs und Ablegens alter Gewohnheiten. Seit den Siurana Kletterferien vergangenen Herbst ist mein Selbstvertrauen in neue Sphären vorgestossen, plötzlich erscheint nichts mehr unmöglich. Und so ergreife ich den Moment und klettere aus der behaglichen Höhle hinaus ins Licht von eisigen, pumpigen Lüstern. Das kribbelnde Gefühl der Ungewissheit weicht einer Mischung aus Zuversicht und meinem neuen, erstarkten Selbstvertrauen. Wohlüberlegt, solide und mit Bedacht arbeite ich mich empor. Mit jedem Meter Höhengewinn entfaltet der Befreiungsschlag seine Wirkung. Auf Wolke 7. 

 

Natürlich brauchen wir Ewigkeiten für den Eisfall mit 3 langen Längen, aus denen wir 5 Seillängen machen. Hari's Geduld ist an diesem Tag schier unendlich. "Ob er Angst um mich hatte?", frage ich ihn am Abend bereits im Halbschlaf beim Abendessen. Es ist das erste Mal, dass ich einen Eisfall in dieser Dimension führe. Für eine kurze Passage von 20m wechseln wir den Lead ab, doch danach übergibt Hari mir ein weiteres Mal das scharfe Ende des Seils. Er ist momentan nicht in Form um das über unseren Köpfen sich abermals aufsteilende Eis im Vorstieg und mit genügend Reserven zu klettern. Fast schon ein Paradigmenwechsel, der sich da am 08. Februar 2025 abspielte. Aus der Obhut des Mentors hinaus in die Freiheit der weiten Alpinwelt. Wo Entscheidungen fatal enden können, aber auch die grössten Glücksgefühle ermöglichen. Wer nicht bereit ist ein Risiko einzugehen, wird keinen Fortschritt erzielen. Das Risiko mit eigenmächtigen Überlegungen und bewusst getroffenen Entscheidungen zu minimieren und damit aber auch bewusst zu akzeptieren, stellt die Grundlage bergsportlichen Tuns und den daraus resultierenden Erfahrungen dar. Die (Selbst-)Erfahrung im Januarloch jedenfalls wird mich noch lange beschäftigen, im positiven Sinn. Ich werde immer gerne auf den Tag des Durchbruchs, auf den Tag des Befreiungsschlags zurückblicken und mich zurückerinnern.

Adrian Vögeli hat neue Stände gebohrt, siehe Foto. Der erste Stand ist links in der grossen Höhle, der zweite rechts unter einem kleinen Dach und der dritte am Ende des Eisschlauchs links am Fels, gut 10m nach dem Loch. Falls es nicht genügend Eis durchs Loch hat befindet sich im Loch selbst auf der linken Seite ein alter, umkomfortabler Stand.

mehr als nur Ausweichziele...

Kompakteisstufen, aber auch richtig lange, steile Seillängen finden sich weiter rechts, also am südöstlichen Seeufer. Hier eine Zusammenstellung einiger Möglichkeiten. Teilweise gibt es gebohrte Abseilstände, teilweise muss selbst gebastelt werden.

 

Mit den Ski bis zum Kompakteis im Couloir hoch. Der Kessel voll mit Eis bietet mindestens 4 verschiedene Linien. Die rechteste Linie mit dem dünnen Eis auf den Platten und dem Säulenabschluss hat am Ende einen Bohrhakenstand. Oberhalb des Eiskessels gibt es noch 2 steile Eisfälle. Der rechte hat nach fast 60m einen neuen Bohrhakenstand.

 

Diese Eisstufen finden sich gleich rechts der ÖschiMixTrix:

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Patricia Neuhauser

 

Sportwissenschafterin, MSc

Präsidentin Verein trail-maniacs

Online-Autorin SAC Tourenportal

Autorin Trailrunning Guidebook

 

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